Eisige Naehe
dazu, auch wenn ich es selbst nicht gutheiße, das können Sie mir glauben. Doch auch ich bin an Anweisungen gebunden. Ich hoffe, Sie haben mich jetzt verstanden. Herr Harms, könnte ich Sie bitte kurz unter vier Augen sprechen?«, sagte Rüter in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Natürlich, gehen wir in mein Büro.« Als die beiden Männer das Konferenzzimmer verlassen hatten, sagte Henning zu Santos: »Sag mal, was war das denn eben? Bin ich hier im falschen Film? Oder habe ich irgendwas verpasst?«
»Keine Ahnung, aber du hast den werten Herrn Rüter ziemlich verärgert.«
»Ich ihn verärgert? Entschuldige mal, aber der verdammte Mistkerl hat mich verärgert! Oder kommt dir das nicht auch arg spanisch vor, dass wir nur sieben Tage Zeit haben, um ...«
»Mann, hast du nicht gemerkt, dass mir auch fast der Kragen geplatzt ist? Nur ich habe mich im Gegensatz zu dir unter Kontrolle ...«
»Du hast mich wohl noch nicht erlebt, wenn ich mich nicht unter Kontrolle habe, ich ...« »Doch, habe ich. Mensch, Sören, du hättest dich wenigstens ein bisschen zurücknehmen können. Du kennst doch Rüter und seine arrogante Art. Er spielt damit, und du lässt dich auch noch auf das Spiel ein. Ein einfaches Ja, und er wäre zufrieden gewesen. Aber du musst immer gleich Kontra geben. Werd endlich erwachsen!« Henning winkte entnervt ab: »Jetzt auch noch du! Dieser Fachidiot ist gerade mal Ende dreißig und macht hier einen auf großen Macker. Der kennt vielleicht alle Gesetzestexte auswendig, aber von unserer Arbeit versteht der rein gar nichts. Der konnte doch nur schon mit sechsunddreißig Oberstaatsanwalt werden, weil sein Vater im Bundestag sitzt. So einen alten Herrn hätte ich auch mal gern gehabt.«
»Um so zu werden wie Rüter? Dann wären wir beide nicht zusammen, darauf kannst du Gift nehmen. Wir können Rüter nicht leiden, aber wir müssen uns wohl oder übel seinen Anweisungen beugen. Machen wir doch das Beste draus.«
»Was ist denn das Beste? Ich sag's dir - er will einen Täter, und ich habe das dumpfe Gefühl, ihm ist scheißegal, ob es der Richtige ist, Hauptsache, wir können jemanden präsentieren. Es wäre ja nicht das erste Mal in diesem Land, dass jemand für etwas verurteilt wird, was er nicht getan hat. Du brauchst nur den Fall der kleinen Mandy aus der Nähe von Hof in Oberfranken zu nehmen, für den ein geistig Minderbemittelter in den Knast gewandert ist, obwohl man ihre Leiche nie gefunden hat und sich die Hinweise verdichten, dass sie noch am Leben ist. Bei so was spiele ich aber nicht mit ...«
»Nun, in unserem Fall haben wir fraglos eine Leiche, besser gesagt zwei«, wurde Henning von Santos verbessert. »Aber ich weiß, worauf du hinauswillst, und ich vermute auch, dass ihm ein Bauernopfer, auch wenn der Begriff vielleicht nicht ganz passend ist, nicht ungelegen käme. Es wäre zum einen medienwirksam, die Öffentlichkeit hätte wieder Futter, und es könnte seiner Karriere einen weiteren Schub verleihen.«
»Okay, lassen wir das, ich will Rüter nichts unterstellen. Die Angehörigen von Kerstin Steinbauer müssen informiert werden, vielleicht kannst du mal die Kollegen in Düsseldorf ...«
»Hätte ich eh gleich getan. Und weiter?« »Und dann will ich wissen, was Bruhns gestern nach seinem Auftritt gemacht hat. Wann und mit wem er das Studio verlassen hat, wann er in Kiel eingetroffen ist und so weiter. Ich will über jeden Schritt Bescheid wissen, den der werte Herr getan hat. Ich will vor allem wissen, wie er die Kleine kennengelernt hat, ich will wissen, ob die beiden zum ersten Mal allein in seinem Haus waren, ich will wissen, wer seine ärgsten Feinde waren ...« »Jetzt mach mal halblang, okay? Eins nach dem anderen. Was glaubst du, haben Rüter und Harms zu besprechen?«
Henning zuckte die Achseln. »Es geht um mich, um meine Aufsässigkeit und, und, und. Rüter und ich, das funktioniert nicht. Hat es noch nie.«
»Gerade deswegen könntest du hin und wieder auch ein bisschen diplomatischer sein, wenn du mit ihm zu tun hast. Aber du brauchst ihn nur zu sehen, und schon schnaubst du wie ein wild gewordener Stier. Du kennst doch diesen Idioten und den Ruf, der ihm vorauseilt. Du hättest nur schön brav zu allem ja und amen zu sagen brauchen, und schon wäre er zufrieden hier rausstolziert.«
»Nee, Lisa, so einfach ist das nicht. Der kam von Anfang an mit einer Forderung, und das ist nicht normal. Noch nie hat uns ein Staatsanwalt eine Frist für unsere
Weitere Kostenlose Bücher