Eisige Naehe
Sturm abgelöst hatte, nachdem man in dessen Büro und bei ihm zu Hause Kokain und Kinderpornos auf den Rechnern gefunden hatte und er deswegen nicht nur seinen Posten hatte räumen müssen, sondern auch noch zu einer Bewährungsstrafe und einer hohen Geldbuße verurteilt worden war. Auch wenn Henning Sturms Nachfolger auf den Tod nicht ausstehen konnte, reichte er ihm die Hand. »Und dann auch noch an einem Sonntag.« Mit einem leicht süffisanten Lächeln konterte Rüter: »Tja, Herr Henning, auch ein Oberstaatsanwalt muss in dringenden Fällen den Sonntag Sonntag sein lassen. Wir sind nicht nur Sesselfurzer, wie Sie uns gerne unterstellen. Aber lassen wir doch dieses unnötige Geplänkel, sondern berichten Sie lieber Herrn Harms und mir, was Sie bisher herausgefunden haben. Am besten setzen wir uns dazu hin, ich war nämlich heute Morgen bereits zwei Stunden joggen, danach bin ich eine Runde im Pool geschwommen, und anschließend habe ich mir noch eine Sauna gegönnt, ich bin ziemlich erschossen.« »Das ist Bruhns auch, sogar noch etwas erschossener, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf«, entgegnete Santos, die Rüters arrogantes Auftreten kaum ertrug. Ihr war es vollkommen gleichgültig, wie sportlich Rüter war, besonders nach den Stunden, die sie und Henning hinter sich hatten.
»Frau Santos, Frau Santos, Ihre Schlagfertigkeit ist umwerfend. Aber bitte, jetzt nehmen Sie doch Platz!« Rüter deutete auf die Stühle in dem Konferenzzimmer, in dem es spätestens morgen von Beamten bei der Einsatzbesprechung nur so wimmeln würde. Ein großer Fall, einer der größten überhaupt, auch wenn sie es schon einmal mit einem Serienmörder zu tun gehabt hatten, der als einer der schlimmsten seiner Art in die Kriminalgeschichte eingegangen war. Aber bei Bruhns lag die Sache anders, er war eine Person des öffentlichen Lebens und genoss somit einen elitären Status, der selbst nach dem Tod erhalten blieb. Aus diesem Grund stand auch der Oberstaatsanwalt auf der Matte, der die Ermittlungen persönlich leiten und überwachen würde, was Rüter in den knapp zwei Jahren, die er im Amt war, noch nie getan hatte. Henning und Santos ahnten, was ihnen bevorstand. Ständige Fragen nach dem Stand der Dinge und die Aufforderung, dass es mit den Ermittlungen doch bitte etwas schneller vorangehen solle ...
»Was können Sie bis jetzt sagen?«, fragte Rüter, nachdem sie Platz genommen hatten.
»Wir wurden vor knapp fünf Stunden an einen Tatort gerufen, die Spusi dürfte noch vor Ort sein, Professor Jürgens macht sich gerade über die Toten her, wir waren bei Frau Bruhns und ...«
»Alles schön und gut«, wurde er von Rüter mit einer Handbewegung unterbrochen. »Ich möchte Ihren persönlichen Eindruck hören. Was halten Sie von der Sache?«
»Ich halte gar nichts davon, solange ich keinen Anhaltspunkt habe. Fakt ist, dass die Leichen in einer skurrilen Weise aufgebahrt waren. Sind die Fotos schon da?« Harms nickte. »In meinem Büro«, antwortete er kurz angebunden, es ging ihm sichtlich gegen den Strich, Rüter schon jetzt im Nacken zu haben.
»Wenn Sie die Fotos gesehen haben, brauche ich Ihnen ja nicht mehr viel über den Tatort zu erzählen«, sagte Henning, während er die Beine übereinanderschlug und die Hände hinter dem Nacken verschränkte. »Ich möchte trotzdem aus Ihrem Mund hören, wie Sie die Sache sehen. Oder ist das zu viel verlangt?« »Es ist zu viel verlangt, weil wir die Sache, wie Sie es nennen, noch gar nicht sehen«, antwortete Henning mit einem leicht aggressiven Unterton, beugte sich vor, faltete die Hände und sah den Oberstaatsanwalt herausfordernd an, ein Blick, dem dieser mühelos standhielt. »Wir haben noch nicht den geringsten Anhaltspunkt, wer der Täter sein könnte, wir wissen nicht, in welchem Umfeld er zu suchen ist, wir wissen nicht, ob es einer oder zwei oder gar mehrere waren, wir wissen nicht, ob Bruhns seinen oder seine Mörder kannte, wir haben bis jetzt nur zwei Leichen, einen Tatort und die Aussage seiner Frau. Wir müssen ihr Alibi noch überprüfen, möchten aber fast ausschließen, dass sie mit dem Mord etwas zu tun hat. Und wir wissen nicht, was Bruhns gestern Abend getan hat, nachdem er aus Hamburg zurückgekommen ist ...«
»Was meinen Sie damit?«, wurde er von Rüter unterbrochen. »Was hat er in Hamburg gemacht?« Henning lehnte sich zurück. »Er hatte eine Livesendung, die laut Aussage eines Beamten, der einer der Ersten vor Ort war, bis etwa halb zehn dauerte
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