Eisige Naehe
dass du meine Gedanken erraten hast. Ich dachte schon, du wolltest wieder die ganze Nacht durcharbeiten.«
»Es gibt auch noch ein Privatleben. Gehen wir.« Sie waren zu Hause angekommen und betraten die Wohnung, als Santos' Handy klingelte. »Santos.« »Koslowski, Kripo Düsseldorf, wir haben vorhin telefoniert. Es geht um diese Kerstin Steinbauer. Die junge Frau hat keine Angehörigen, sie ist in einem Waisenhaus aufgewachsen und lebte seit gut einem Jahr allein in einem luxuriösen Apartment in einem unserer besten Viertel. Alles darin ist vom Feinsten - so haben es die Kollegen berichtet. Wir werden versuchen herauszufinden, woher sie das viele Geld hatte. Außerdem werden wir ihren Freundes- und Bekanntenkreis unter die Lupe nehmen, vorausgesetzt, sie hatte überhaupt einen. Es könnte ja auch sein, dass sie ihr Geld mit Prostitution gemacht hat, was aber auch relativ leicht rauszufinden sein dürfte. Genaueres erfahrt ihr noch. Das wollte ich nur schnell durchgeben.« »Danke. Wird ihre Wohnung schon untersucht?« »Die Spusi ist schon dort, ich fahr auch gleich mal mit meinem Kollegen hin. Ich melde mich auf jeden Fall, sollten wir etwas Fallrelevantes finden.«
»Das wäre nett. Danke für die Kooperation.«
»Ist doch selbstverständlich. Schönen Abend noch und tschüs.«
»Tschüs.«
Santos steckte ihr Handy in die Tasche und erzählte Henning, was sie erfahren hatte. »Jetzt frag ich mich nur, wie kommt ein solches Mädchen an so viel Geld, und wie hat sie Bruhns kennengelernt? Oder umgekehrt, wie kommt Bruhns an ein solches Mädchen?« »Vielleicht ist sie auf den Strich gegangen.« »Falls sie 'ne Edelnutte war, könnte sie natürlich so an Bruhns geraten sein. Andererseits, glaubst du, der war der Typ für Nutten? Der wollte seinen Spaß umsonst und hat ihn auch gekriegt. Außerdem, wie eine Professionelle sah die Kleine nun wirklich nicht aus.« »Wie sieht denn eine Professionelle aus? In Zeiten der Weltwirtschaftskrise macht Mann und Frau doch alles für Geld - auch die Beine breit, wenn's sein muss. Als Waise lernst du früher als andere die Spielregeln des Lebens. Vielleicht war sie einfach nur clever. Eine Nacht mit Bruhns hätte ihr womöglich zwei- oder dreitausend Euro gebracht. Oder auch mehr. Dafür muss meine Oma lange stricken.«
»Du hast gar keine Oma mehr, Sören. Ich glaube außerdem nicht, dass Kerstin eine Hure war.« »Und wenn doch?«, fragte Henning, während er sich die Hände wusch.
»Ich glaub's einfach nicht. Aber falls du recht haben solltest, wovon ich nicht ausgehe, wird sie außer mit Bruhns auch noch mit anderen Promis oder solchen, die sich dafür halten, in die Kiste gesprungen sein. Warten wir ab, was die Kollegen aus Düsseldorf herausfinden. Einverstanden?«
SONNTAG, 9.00 BIS 23.30 UHR
Hans Schmidt hatte bis neun Uhr geschlafen, seine Übungen absolviert, gefrühstückt und danach Maria angerufen. Er fühlte sich gut, tippte ein paar Notizen in sein Notebook, loggte sich ins Internet ein und sah seine E-Mails durch. Um zwölf Uhr ging er in sein Lieblingsrestaurant direkt an der Kieler Förde, wo er an dem für ihn reservierten Tisch mit herrlichem Blick übers Wasser Platz nahm. Er kannte den Inhaber seit vielen Jahren, sie unterhielten sich freundschaftlich ein paar Minuten bei einem Glas Orangensaft, bis Schmidt die Bestellung aufgab, sein geliebtes Pilzomelett. Das Rezept wurde von dem Inhaber wie ein Schatz gehütet, und alle Überredungskunst hatte nichts genutzt, Hans Schmidt würde dieses Rezept nie bekommen.
Um Viertel nach eins fuhr er zu einer Verabredung mit einem ehemaligen Studienkollegen, der es durch Börsenspekulationen und Insidergeschäfte zu beträchtlichem Wohlstand gebracht hatte. Die Finanzkrise war an ihm spurlos vorübergegangen, da er rechtzeitig in werterhaltende Objekte investiert hatte.
Es war ein ruhiger und entspannter Tag, so wie er es geplant hatte.
Um halb sieben kehrte er nach Hause zurück. Um neunzehn Uhr schaltete er die Fernsehnachrichten ein. Die Meldung, dass der bekannte Musikproduzent Peter Bruhns gestorben sei, quittierte er mit einem Lächeln. Von einer Stellungnahme der Polizei oder Staatsanwaltschaft war noch keine Rede. Dafür in den Nachrichten um zwanzig Uhr. Oberstaatsanwalt Rüter trat vor die Kameras und Mikrofone. Über die genaue Todesursache wollte er noch keine Erklärung abgeben, doch es wurde davon ausgegangen, dass es sich um ein Verbrechen handelte. Kein Wort jedoch von der jungen Frau, die
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