Eisige Naehe
Wichtigste.«
»Okay«, sagte Henning, »wenn es die große Unbekannte tatsächlich gibt, warum dann die Geschichte mit den Wattestäbchen? Ich kapier das immer noch nicht. Man hätte das doch alles so weiterlaufen lassen können wie bisher. Oder mache ich einen Denkfehler?« »Nein«, entgegnete Jürgens und trank seinen Whiskey, »aber bestimmte Leute werden schon wissen, warum sie sich ausgerechnet diese Geschichte ausgedacht haben. Sie klingt für mich geradezu aberwitzig, für Tönnies, für Lisa ... Keiner von uns hat dieses Gequatsche geglaubt, aber die Medien haben sich sofort wie die Aasgeier darauf gestürzt. Ich schwöre euch, es wird noch ein paar Wochen so weitergehen, und dann ist wieder Ruhe im Hühnerstall. Die Medien hatten ihr Fresschen, die Öffentlichkeit wundert sich über die Unfähigkeit der Polizei und so weiter und so fort. Aber Bruhns und seine Geliebte wurden definitiv nicht von dem Phantom ermordet, wenn ihr versteht, was ich meine.«
»Das ist mir immer noch zu hoch. Was wäre denn, wenn du und Tönnies die Staatsanwaltschaft über eure Erkenntnisse informieren würdet?«
Jürgens zuckte die Schultern und starrte in sein Glas.
»Was denkst du denn? Du hast doch schon einschlägige Erfahrungen gesammelt. Also, was denkst du, was passieren würde?«
Henning mahlte mit den Kiefern und ballte die Fäuste, ohne etwas zu erwidern.
»Du stehst kurz vor der Explosion, wenn ich deine Körpersprache richtig deute. Also kennst du die Antwort. Noch mal zum Mitschreiben: Ich werde einen Teufel tun und irgendwas ausplaudern. Ich werde mit keinem Staatsanwalt sprechen oder gar noch weiter nach oben gehen. Schminkt euch das ab, die sind mächtiger. Wenn der Innenminister sagt, der Fall ist gelöst, dann ist er gelöst. Kapiert? Er ist euer oberster Dienstherr, nicht meiner. Aber trotzdem werde ich mich raushalten, denn auch ich habe jemanden über mir, und wenn der was sagt, nützt mir mein akademischer Titel herzlich wenig.« »Ist ja gut. Ich sag dir jetzt was, aber das behältst du bitte auch für dich: Rüter will, dass wir ihm bis nächsten Sonntag einen Täter präsentieren. Wie sollen wir das schaffen, wenn wir es mit dem Phantom zu tun haben? Sag's mir, Professor.«
»Wieso bis nächsten Sonntag? Seit wann werden euch Fristen gesetzt?«
»Tja, das haben Lisa und ich uns auch gefragt. Der will unbedingt jemanden vorweisen können. Und wir sollen die Drecksarbeit für ihn erledigen.« »Verstehe. Okay, eins noch, bevor ich mich vom Acker mache: Der Mord an Bruhns und Steinbauer wurde meines Erachtens von einem Auftragskiller ausgeführt. Die Kugeln wurden gezielt aus einer Entfernung von circa anderthalb bis zwei Metern abgefeuert, und für so was kommt nur ein Profi in Frage. Damit wären wir bei der Waffe. Die bei Bruhns gefundene Waffe ist eine Glock, die Tatwaffe aber eine Beretta 92,9 Millimeter mit Schalldämpfer, verwendet wurden Hohlspitzgeschosse. Sollte ich recht behalten mit meinem Auftragskiller, dann steckt ihr schon jetzt ganz schön tief in der Scheiße, denn hinter jedem Auftragskiller steckt ein Auftraggeber. Oder auch mehrere.«
»Aber warum sollte ein Auftragskiller Bruhns aus dem Weg räumen?«, fragte Santos. »Wem war Bruhns so sehr ein Dorn im Auge, dass man einen Auftragskiller auf ihn ansetzt? Warum kommt zwei Tage vor dem Mord die Meldung, dass das Phantom gar nicht existiert? Dann noch die Frist von Rüter ...«
»Du kannst ja trotz vier Whiskey noch erstaunlich analytisch denken«, konstatierte Jürgens grinsend. Santos streckte ihm die Zunge raus und fuhr fort: »Was sind schon vier Whiskey. Noch 'ne Runde?« »Ich glaube, wir sollten es bei vier belassen«, sagte Henning. »Denk dran, wir müssen noch Auto fahren.« »Sören hat recht, auch wenn ich verstehen kann, dass du dich am liebsten besaufen würdest ...« »Quatsch«, wehrte sich Santos und lehnte sich zurück, die Arme unter der Brust verschränkt. »Es ist mir einfach zu hoch. Ich denke, wir sollten zahlen und verschwinden. Ich habe die Schnauze für heute voll.« Jürgens und Santos übernahmen je zwei Runden und verließen zusammen mit Henning den Pub. Als sie sich auf dem Bürgersteig verabschiedeten, sagte Jürgens mahnend: »Was immer ihr auch unternehmt, zieht in Betracht, dass ihr unter Umständen nur Marionetten in einem undurchschaubaren und perfiden Spiel seid. Das hat nichts mit Verschwörungsparanoia zu tun, das ist die brutale Realität. Vielleicht sehe ich ja auch nur Gespenster, oder
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