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Eisige Schatten

Eisige Schatten

Titel: Eisige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Hooper
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vernachlässigten Eindruck gemacht, aber die Neuerungen kamen ihm eindeutig zustatten.
    Ben klopfte an die Tür, und Cassie öffnete mit einem Malerpinsel in der Hand.
    »Hi«, sagte er. »Normalerweise würde ich Guten Morgen sagen, aber das ist er nicht.«
    »Nein, ist er nicht. Kommen Sie rein.« Sie trat zurück und öffnete die Tür weit.
    Genau wie in seinem Büro schaute sie ihn nicht direkt an, warf ihm nur flüchtige Blicke zu. Aber diesmal, mit dem zurückgebundenen Haar und in Jeans und einem engen Thermohemd, konnte er sich ein besseres Bild von ihr machen.
    Sie war nicht nur zerbrechlich. Sie war ätherisch.
    »Der Kaffee ist heiß. Wollen Sie eine Tasse?« Falls sie seinen prüfenden Blick überhaupt wahrnahm, schien er sie nicht zu kümmern.
    »Gern.« Er folgte ihr durch einen offenen Wohnraum mit spärlicher Möblierung – wo ein kleiner Tisch, den sie lackiert hatte, auf ausgebreitetem Zeitungspapier stand – in die Küche.
    Cassie säuberte zunächst den Farbpinsel und legte ihn in die Spüle, dann wusch sie sich die Hände und schenkte Kaffee für sie beide ein. »Schwarz, richtig?«
    »Richtig. Mehr ASW?«
    »Nein. Nur geraten.« Sie reichte ihm die Tasse, ohne seine Finger zu berühren, und trug dann ihre eigene zu dem verkratzten alten Holztisch in der Mitte der Küche. »Macht es Ihnen was aus, hier zu sitzen? Die Farbdämpfe im anderen Zimmer müssen sich erst verflüchtigen.«
    »Kein Problem.« Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. »Diese Küche hat mir immer gefallen.« Sie war warm und freundlich, sonnig dank zahlloser Fenster und leuchtend gelb gestrichen.
    »Dann kannten Sie also meine Tante?«
    »Flüchtig. Ich war ein paarmal hier.« Er lächelte. »Ich wollte ihre Stimme bei der Wahl. Außerdem war sie eine interessante Frau.«
    Cassie trank von ihrem Kaffee, den Blick auf die Tasse gerichtet. »Das hörte ich. Hier sind noch viele ihrer Sachen verpackt, die ich früher oder später durchschauen muss. Sieht so aus, als hätte sie Tagebuch geführt. Und dann noch all ihre Korrespondenz. Vielleicht lerne ich sie dadurch endlich kennen. Doch das hat keine Eile. Es gibt noch so viel anderes zu tun.«
    Ben hatte die Ahnung, dass sie die Durchsicht der Sachen ihrer Tante nicht deswegen verschob, weil so viel anderes zu tun war, sondern weil sie noch nicht bereit war, sich zu öffnen, selbst nicht der Persönlichkeit und den Erinnerungen einer toten Frau. Nach dem, was der Detective aus L.A. ihm erzählt hatte, war Cassie zutiefst verletzt gewesen, als sie sich vor fast sechs Monaten hierher zurückzog. Detective Logan glaubte, sie sei nur um Haaresbreite von einem völligen körperlichen, emotionalen und geistigen Zusammenbruch entfernt gewesen, nachdem sie einen Albtraum zu viel durchlebt hatte.
    Aber Ben gab sich mit ihrer Erklärung zufrieden, zumindest für den Augenblick, und fragte nur: »Sie renovieren das Haus?«
    »Nein, ich frische es nur ein wenig auf.« Ihr Blick flackerte zu seinem Gesicht, dann wandte sie ihn wieder ab. »Ich arbeite gern mit den Händen. Arbeite gern mit Holz.«
    »Berühren schöne Dinge, weil Sie Menschen nicht berühren können?«
    Das lenkte ihren Blick auf sein Gesicht zurück, und diesmal verweilte er. Dunkle Flecken der Erschöpfung lagen unter ihren bleichen Augen, und Ben konnte nichts in ihnen lesen, doch er spürte die Wärme so deutlich, als hätte sie die Hand ausgestreckt und auf seine gelegt. Es war ein irritierendes Gefühl, zugleich aber eines, von dem er wusste, dass er es wieder spüren wollte.
    »Das ist zu einfach«, sagte sie.
    »Ach ja? Sie vermeiden körperlichen Kontakt mit Menschen. Oder liegt es nur an mir?«
    Cassie schüttelte den Kopf. »Für mich ist das … unangenehm. Ich bin eine Berührungstelepathin. Es fällt mir sehr schwer, mich vor den Gedanken und Emotionen anderer abzuschirmen, wenn ich in körperlichem Kontakt mit ihnen bin.« Ihre Schultern hoben und senkten sich.
    »Also vermeiden Sie Berührungen.«
    Sie schaute wieder auf ihre Tasse. »Es gibt Dinge im menschlichen Geist, die nicht gesehen oder berührt werden sollten, Dinge, die sogar von unserem eigenen bewussten Selbst nicht eingeräumt werden. Fantasien, Triebe, Wut, Hass, primitive Instinkte. Für gewöhnlich sind sie tief vergraben, und da gehören sie auch hin. In die dunkelsten Teile unseres Geistes.«
    »Die Teile, die Sie sehen können.«
    Wieder zuckte sie mit den Schultern. »Ich habe genug gesehen. Zu viel. Ich versuche, nicht

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