Eisige Schatten
aber, sein Bedürfnis nach ihr nicht so verdammt offensichtlich zu zeigen. »Was machst du hier?«
»Ich räume dieses Zeug fort.«
»Ich dachte, du wolltest die Tagebücher lesen.«
Cassie warf ihm einen Blick zu, den er beim besten Willen nicht entschlüsseln konnte, und murmelte: »Manchmal ist es am besten, nicht zu wissen, wie sich die Dinge entwickeln werden.«
»Sprichst du von Alexandra?«
Sie blickte auf das Tagebuch in ihrer Hand und legte es dann zu den anderen Sachen im Karton. »Natürlich.«
Er glaubte ihr nicht, nahm es aber hin, wollte sie nicht drängen, wenn sie sich so ausweichend gab. »Na, du kannst sie ja später immer noch lesen.«
»Ja. Später.« Cassie klappte den Karton zu und meinte dann lächelnd: »Die Soße sollte fertig sein, wenn du bereit bist.«
»Ich bin bereit.«
Er bewegte sich sehr vorsichtig, argwöhnisch wegen der scharfen Ohren des Hundes, trotz des Lärms von Graupelschauern und Wind. Vorsicht riet ihm, sich zurückzuhalten, aber er wollte näher kommen, nahe genug, um hineinsehen zu können.
So gemütlich da drinnen. Ein hübsches Feuer im Kamin. Lampenschein und das appetitliche Aroma guten Essens machten die Küche warm und behaglich. Leise Stimmen, die sich miteinander wohlfühlen und doch wachsam sind, die Worte verschwommen vor Verlangen, vor Hoffnung und Ungewissheit und Furcht.
Sie waren vollkommen ineinander vertieft.
Sie bemerkten seine beobachtenden Blicke nicht.
Er stand draußen, den Kragen hochgeschlagen und die Mütze tief herabgezogen, um sein Gesicht vor dem stechenden Graupel zu schützen. Es war kalt. Der Boden war vereist, und seine Füße froren in den dünnen Schuhen. Aber er blieb lange dort stehen und starrte hinein.
Sie hatte es nicht begriffen. All seine Arbeit, und sie hatte es nicht begriffen.
Hatte nicht begriffen, dass er das alles für sie getan hatte.
Aber sie würde es begreifen.
Schon bald.
2. März 1999
»Das war’s dann wohl mit der Freizeit«, sagte Ben und band seine Krawatte, während ihm Cassie vom Bett aus zuschaute. »Typisch von Richter Hayes, mich wieder an die Arbeit zu rufen.«
»Na ja, er hat recht«, sagte sie. »Nachdem Mike Shaw jetzt einen Anwalt hat und die meisten Beweise aus seinem Haus sichergestellt sind, wird es Zeit, dass du an die Arbeit gehst.«
»Musst du so vernünftig sein?« Ben setzte sich auf den Bettrand und lächelte zu ihr hinunter. »Ich werde aus einem schönen warmen Bett in einen sehr kalten Morgen vertrieben, und ich gedenke, darüber zu nörgeln.«
Sie berührte sein Gesicht mit einer dieser zögerlichen kleinen Gesten, die stets sein Herz zum Stillstand brachten. »Das warme Bett wird hier auf dich warten, wenn du zurückkommst. Das heißt …«
»Oh, ich komme garantiert zurück«, versicherte er ihr. »Zum Lunch, wenn ich es schaffe. Gegen fünf, wenn es mittags nicht klappt. Auf jeden Fall bringe ich was zu essen mit. Irgendwelche Vorlieben?«
»Nein. Ich bin leicht zu befriedigen.«
»Ja«, sagte er und beugte sich zu einem Kuss hinunter, »das bist du. Versuch wieder zu schlafen, Liebste. Ich lasse Max raus und füttere ihn, bevor ich gehe. Bis später.«
Cassie lauschte auf die leisen Geräusche von unten, bis er gegangen war, rollte sich dann zusammen, die Arme um sein Kissen geschlungen, und atmete den schwachen Geruch ein, den er auf dem Leinen hinterlassen hatte. Seine Anwesenheit in ihrem Leben war bereits spürbar. Ihr Bett roch nach ihm, und der Duft seines Rasierwassers hing im Raum. Seine Toilettenartikel standen neben ihren im Badezimmer. Eines seiner Hemden lag auf dem Stuhl in der Ecke.
Etwas Dauerhaftes?
Sie scheute vor dem Gedanken zurück, weil es so erstaunlich und potenziell wunderbar war – zu gut, um wahr zu sein. Ihr Leben hatte sie gelehrt, dass ihr wunderbare Dinge einfach nicht zustießen, und sie hatte gelernt, glücklichen Überraschungen mit Misstrauen zu begegnen.
Es gab immer einen Haken.
Aber bis sie den nicht entdeckte, wollte Cassie einfach den Augenblick genießen, in Zufriedenheit schwelgen. Sie lag in einem warmen Bett, wo ein liebevoller Mann die ganze Nacht neben ihr gelegen hatte, und jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte auf beglückende Weise.
Er war ein sehr … leidenschaftlicher Mann.
Mit einem Lächeln in Gedanken an diese Leidenschaft schlief Cassie wieder ein.
Als das Klingeln sie hochschrecken ließ, dachte sie, es sei ihr Wecker, und warf dem Nachttisch einen erzürnten Blick zu. Aber dann klingelte das
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