Eisige Schatten
Prophezeiung ihrer Tante über Abbys endgültiges Schicksal.
Alex hatte sich geirrt, oder das Wissen darum hatte Abby irgendwie befähigt, das zu ändern, was sonst hätte passieren können.
Sie könnte sich auch bei Ben geirrt haben. Und Cassie könnte sich geirrt haben, als sie ihr eigenes Schicksal gesehen hatte. Zumindest bestand diese Möglichkeit.
Nicht wahr?
»Cassie?«
Sie hatte Angst davor, ihn anzuschauen. »Ich weiß es nicht. Ich schätze, ich hatte angenommen, dass es noch … noch eine Weile weiterlaufen würde. Bis du meiner überdrüssig bist.«
»Überdrüssig?« Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum. »Cassie, hast du den Eindruck, dass es sich hier nur um eine Affäre handelt?«
Sie starrte ihn an. »Was könnte es sonst sein?«
»Etwas sehr viel Dauerhafteres.« Er berührte ihr Gesicht mit sanften Fingern, strich eine Strähne seidigen schwarzen Haars zurück. »Hoffe ich.« Von allen Möglichkeiten, die ihr durch den Kopf gegangen sein mochten, war ihr diese nie eingefallen – und Cassie war mehr als überrascht, dass sie ihm in den Sinn gekommen war. Langsam sagte sie: »Ich glaube, es ist ein bisschen zu früh, über etwas Dauerhaftes zu reden, findest du nicht? Ich meine, wir haben doch beide nicht nach einer Bindung gesucht.«
»Vielleicht nicht, aber …«
»Ben, du weißt, dass es da kein Vielleicht gibt. Ich bin die meiste Zeit meines Lebens vor Menschen … zurückgescheut, und es ist offensichtlich, dass du nicht für eine Langzeitbindung bereit bist.«
»Woher willst du das wissen?« Dann ging es ihm auf. »Oh. Meine Mauern.«
Man sah ihm an, dass es ihn verstörte, daran erinnert zu werden, und Cassie setzte ein reumütiges Lächeln auf. »Wir sind immer noch dabei, einander zu erforschen, lernen immer noch, einander zu vertrauen. Lassen wir uns Zeit, Ben, okay? Zeit ohne … äußeren Druck wie Serienmörder, die uns auf etwas zu stoßen, für das wir nicht bereit sind. Es hat doch keine Eile, oder?«
»Vermutlich nicht.« Er zog sie in die Arme, lächelte, aber mit etwas wie einem Stirnrunzeln im Blick. »Solange du nicht vorhast, mich in nächster Zeit aus deinem Bett zu verbannen.«
»Das«, sagte Cassie und ließ ihre Arme um seinen Hals gleiten, »war niemals Teil des Plans.«
Es war schon dunkel, als Ben im vom Lampenschein erhellten Schlafzimmer aufwachte und merkte, dass er allein war. Er zog sich an, ging nach unten und fand Cassie im Wohnzimmer. Der Geruch von etwas Leckerem auf dem Herd wehte aus der Küche herein, und sie war damit beschäftigt, Papierstapel und Tagebücher zu verpacken, die einige Tage auf dem Couchtisch gelegen hatten.
Er blieb einen Moment im Türrahmen stehen, um sie zu beobachten, und bemerkte, wie sich seine Brust zusammenzog und sein Magen sich verkrampfte. Hatte er einen Fehler gemacht? Sein gesunder Menschenverstand hatte ihm geraten, zu warten, keine Forderungen zu stellen, doch andere Instinkte hatten darauf bestanden, dass Cassie erfuhr, was er empfand.
Ben glaubte, dass sie ihn mochte. Er glaubte, dass sie, angesichts ihrer Vergangenheit und dem fast pathologischen Widerstreben, auch nur den flüchtigsten körperlichen Kontakt zuzulassen, nicht fähig gewesen wäre, ihn als Liebhaber zu akzeptieren, wenn sie ihn nicht mögen würde. Wenn sie ihm nicht wenigstens teilweise vertraut hätte. Doch er wusste ebenfalls, dass zu viele Erfahrungen mit der düsteren Gewalt in den Gedanken von Männern es Cassie fast unmöglich machten, einem Mann vollkommen zu vertrauen, vor allem, wenn sie seine Gedanken nicht lesen konnte.
Seine verdammten Mauern.
Sie würde keine Bindung mit ihm eingehen, bevor sie sich seiner sicher war, und seine Mauern machten das unmöglich. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, diese Mauern einzureißen, war er sich nicht sicher, ob es Cassie für immer auf seine Seite und in sein Leben bringen würde. Sie war zu lange allein gewesen, war davon überzeugt, dass es für sie das Beste war. Würde sie – könnte sie – ihr Leben so drastisch verändern, um ihn und all die Menschen und Verpflichtungen, die er mitbringen würde, zu akzeptieren?
Er wusste es nicht.
Ben bemühte sich, seine Gesichtszüge freundlich wirken zu lassen, und trat ins Wohnzimmer. »Du hast mich allein gelassen«, warf er Cassie in leichtem Ton vor.
Sie lächelte. »Ich bekam Hunger, entschuldige. Spaghetti. Ich hoffe, das magst du.«
»Ich liebe Spaghetti.« Er wollte sie berühren, zwang sich
Weitere Kostenlose Bücher