Eisige Schatten
sah.«
»Und was?«
»Ich wünschte, ich wüsste das. Manchmal lässt sich ein Ereignis vermeiden, wenn man einfach an der nächsten Ampel links statt rechts abbiegt.« Sie seufzte. »Es tut mir leid, ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas Hilfreicheres anbieten, aber selbst wenn ich die Gabe meiner Tante besäße, müsste ich trotzdem interpretieren, was ich sehe. Für jede Situation gibt es zu viele mögliche Ergebnisse.«
»Genau das hat Ihre Tante auch gesagt.«
»Ich weiß nicht, was ich an Ihrer Stelle tun würde«, sagte Cassie. »Aber mit dem Sheriff darüber zu sprechen wäre ein guter Anfang. Er hat mir erzählt, er habe ein paar Leute gekannt, die von Paragnosten betrogen worden seien, aber er würde doch sicher zuhören, wenn es um eine Warnung geht, die Sie betrifft, vor allem, da sie von einer Frau ausgesprochen wurde, die nichts zu gewinnen hatte.«
»Eher wird er wütend auf mich werden, weil ich die Warnung ernst genommen habe. Er sieht in allem eine Art Schwindel.« Abby hielt inne, fügte dann hinzu: »Er ist davon überzeugt, dass Sie ihn beschwindeln.«
»Ich weiß.«
»Er ist ein guter Mann. Aber er kann ein furchtbarer Sturkopf sein.«
Cassie lächelte. »Sein Misstrauen macht mir nicht viel aus. Oder hat es bislang nicht. Bisher hat es noch keine Opfer gefordert.«
»Sie glauben, das könnte passieren?«
»Wenn es mir gelingt, ein paar sinnvolle Informationen aufzufangen, und er sie ignoriert, weil er mir nicht traut … dann können Sie wetten, dass es Opfer geben wird.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber im Moment mache ich mir mehr Sorgen um Sie. Die Gedanken des guten Sheriffs zu lesen hat mir mehr über Ihr Privatleben verraten, als Ihnen vielleicht lieb ist. Ich weiß, dass Sie sich von Ihrem Ehemann getrennt haben, und ich weiß, dass er zu Gewalttätigkeit fähig ist. Fügen Sie das dem Wahnsinnigen hinzu, der bereits drei Frauen ermordet hat, und ich würde sagen, es wäre ein guter Zeitpunkt, Urlaub zu machen und sich irgendwo an den Strand zu legen.«
Abbys unsicheres Lächeln kehrte zurück. »Und was ist, wenn meine Abreise nur ein weiterer Schritt in Richtung meines Schicksals wäre?«
»Das ist natürlich eine Möglichkeit. Aber ich würde sagen, an irgendeinem Strand ständen Ihre Chancen besser.«
»Mag sein. Doch ich kann nicht fort.«
»Dann erzählen Sie es wenigstens dem Sheriff. Wenn Sie ihn schon nicht dazu bringen, zu glauben, meine Tante hätte in die Zukunft sehen können, überzeugen Sie ihn zumindest davon, dass ihre Warnung Sie verängstigt hat. Vielleicht kann er Schritte unternehmen, Ihr Leben sicherer zu machen.«
»Und vielleicht wäre es nur eine Sache mehr, um die er sich Sorgen macht. Ich passe schon auf mich auf. Und das ist alles, was ich tun kann.«
Cassie bewunderte Abbys Ruhe. Da sie oft mit dem Wissen gelebt hatte, dass sich irgendein Wahnsinniger auf sie einschießen könnte, dass ihre Chancen, ein Opfer zu werden, höher waren als die der meisten, wusste sie nur zu gut, wie entkräftend diese ständige Bedrohung war.
Mehr noch, sie wusste, was für ein Gefühl es war, mit einer verhängnisvollen Prophezeiung zu leben. Beinahe hätte sie Abby erzählt, ihr fast anvertraut, dass ihre einzige Erfahrung mit Präkognition eine Vision ihres eigenen Schicksals gewesen war, in der ihr Gewalt und Zerstörung vorausgesagt wurden. Aber dann behielt sie dieses Wissen doch für sich.
Sie war dreitausend Meilen gerannt, nur um sich wieder in eine Ermittlung zu gewalttätigen Verbrechen verstrickt zu finden. Für sie war das Fortlaufen kein Entkommen gewesen. Damit wollte sie Abby nicht auch noch belasten.
»Haben Sie einen Hund?«, fragte sie stattdessen.
»Nein.«
»Vielleicht sollten Sie sich einen anschaffen. Oder leihen.«
»Haben Sie einen?«
Cassie lächelte. »Nein. Aber Ben sagte, ich sollte mir einen besorgen – und er hatte recht. Hören Sie, wollen wir nicht zusammen zum Tierheim fahren?«
»Die Münzen«, sagte Matt.
»Was ist damit?« Ben setzte sich auf den Besucherstuhl vor Matts Schreibtisch.
»Bei denen haben wir vielleicht einen Durchbruch erreicht. Der Silberdollar, den Becky in den Händen hielt, hat sich als ziemlich seltenes Exemplar herausgestellt. Von den technischen Einzelheiten versteh ich nichts, irgendwas wegen eines Fehlers bei der Prägung. Sie kamen nie in Umlauf, und es wurden nur ein paar Tausend geprägt, bevor der Fehler entdeckt wurde.«
»Ein paar Tausend?«
»Ich weiß, das klingt nach viel,
Weitere Kostenlose Bücher