Eisige Schatten
verteidigen, doch ansonsten waren sie friedliche und freundliche Hunde, die sich über vertraute Besucher freuten.
Sie begleiteten Ben durch das Haus zur Küche, wo er seine Mutter fand.
»Der Züchter hat einen neuen Wurf Welpen«, sagte Mary Ryan, als ihr Sohn eintrat. »Du solltest dir einen holen, Ben. Du magst Hunde, und sie mögen dich.«
»Ich brauche keinen Mastiff in meiner Wohnung«, erwiderte er, geduldig angesichts des alten Streitpunkts.
»Du könntest eine kleinere Rasse wählen.«
»Ich brauche keinen Hund in meiner Wohnung. Bei meinen Arbeitsstunden ist es nicht angebracht, ein Haustier zu halten.«
Sie warf ihm einen Blick von der Kücheninsel zu, an der sie die Zutaten für einen Salat schnitt. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau, die ihrem Sohn das glänzende, dunkle Haar und die haselnussbraunen Augen vererbt hatte. Ihre Kleinmädchenstimme passte nicht zu ihr; eine heisere, rauchige Stimme wäre bei ihrem Aussehen angemessener gewesen. Sie war noch keine sechzig und sah zwanzig Jahre jünger aus.
»Du brauchst jemanden um dich, Ben«, sagte sie. »Du verbringst zu viel Zeit allein.«
»Du kennst meine Arbeitsbelastung nicht«, gab er zurück. Sie sprach natürlich über seinen frauenlosen Zustand, obwohl sie das Thema stets nur indirekt anschnitt. Da er wusste, dass sie nicht davon ablassen würde, wenn er sie nicht ablenkte, stellte er die mitgebrachte Flasche Wein auf die Arbeitsplatte, zog sein Jackett aus, hängte es über einen Barhocker an der Kücheninsel und sagte: »Ich überprüfe schon mal alle Fenster und Türen, ja?«
»Das Essen ist in zwanzig Minuten fertig.«
Er hoffte, das Thema sei damit erledigt, doch als sie sich eine halbe Stunde später zum Essen setzten, fing sie wieder an.
»Dann eine Katze. Vielleicht zwei. Katzen geben sich damit zufrieden, stundenlang allein zu sein, und dann ist wenigstens jemand da, wenn du nach Hause kommst.«
Ben trank einen Schluck Wein, um etwas Zeit zu gewinnen, und antwortete dann ruhig: »Mary, ich versichere dir, dass es mir nicht an Gesellschaft fehlt. Ich war in letzter Zeit nur sehr beschäftigt und hatte wenig Zeit für Verabredungen.«
Sie verzog ein wenig das Gesicht, als er Katzen so offen durch Frauen ersetzte, ging aber darauf ein und fragte selbst unumwunden: »Was ist mit der Nichte von Alexandra Melton?«
Er war verblüfft. »Wie zum Teufel hast du davon gehört?«
»Louise hat es mir erzählt. Du weißt doch, dass wir uns samstags immer um die Blumen für die Kirche kümmern. Sie sagte, sie hätte dich mindestens zweimal zusammen mit Alexandra Meltons Nichte gesehen und dass das Mädchen unverwechselbar sei. Ist sie so interessant, wie es ihre Tante war, Ben?«
»Ich habe Miss Melton kaum gekannt.«
»Und ihre Nichte?«
»Die kenne ich auch kaum.«
»Aber wie ist sie?«
Ben gab auf. Mary konnte trotz ihrer kindlichen Stimme und ihres Gehabes so unerbittlich wie auf Stein tropfendes Wasser sein, wenn sie etwas wollte. »Sie ähnelt Miss Melton sehr, ja. Schwarzes Haar, graue Augen. Allerdings kleiner und zerbrechlicher.«
»Alexandra war ein bisschen übersinnlich. Ihre Nichte auch? Und wie heißt sie überhaupt?«
»Ihr Name ist Cassie Neill.« Ben runzelte die Stirn. »Ich wusste nicht, dass du Miss Melton kanntest, außer dem Namen nach.«
»Wir haben uns über die Jahre ein paarmal unterhalten. Um Himmels willen, Ben, man kann nicht in einer Stadt dieser Größe leben und die meisten Menschen nicht kennen, wenn man seit fast vierzig Jahren hier ist.«
Er nickte, fragte jedoch: »Was meinst du mit ›übersinnlich‹?«
»Nun ja, einfach das. Sie wusste Dinge. Einmal sagte sie mir, ich solle rasch nach Hause gehen, weil Gretchen – Butch und Sunnys Mutter, du erinnerst dich – ihre Welpen bekomme und es Schwierigkeiten gebe. Es stimmte. Ich verlor sie und musste die Jungs mit der Flasche großziehen.«
Einer der Jungs schlug mit der Rute gegen den Fliesenboden, und der andere gähnte gewaltig, als Ben zu ihnen hinunterschaute. Den Blick wieder auf seine Mutter gerichtet, sagte er: »Ich hatte ein paar Geschichten darüber gehört, dass sie anscheinend Dinge wusste, und hatte nicht so richtig daran geglaubt. Aber Cassie sagt, ihre Tante sei angeblich fähig gewesen, die Zukunft vorauszusagen.«
»Dann konnte sie das vielleicht auch. Kann Cassie es?«
Ben schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Weil du nicht glaubst, dass es möglich ist, oder weil sie dir gesagt hat, sie könne es nicht?«, fragte
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