Eisige Schatten
und Beruhigendes zu murmeln. Sie würde ihn nicht verlassen wie seine vorherigen Besitzer, hatte sie ihm zu erklären versucht, hatte dabei jedoch nicht nur entdeckt, dass man Hundegedanken nicht lesen konnte – zumindest sie nicht –, sondern dass es auch schwierig war, einem Hund verbal zu erklären, sie würde bloß die Sachen ihrer Tante durchsehen und das einpacken, was man wegwerfen, verschenken oder einlagern könnte.
Sie fragte sich, ob es Abby leichter fiele, mit dem vollblütigen Irish Setter fertig zu werden, in den sie sich verliebt hatte.
»Na ja, vielleicht habe ich für heute genug getan«, beschloss sie. »Unten sind noch diese Kartons mit den Papieren – die kann ich heute Abend durchsehen, was dich wohl nicht so aufregen wird. Was hältst du davon, wenn wir unterdessen einen Spaziergang machen?«
Bei dem magischen Wort hob sich Max’ Kopf eifrig, und er tappte ihr aus dem Gästezimmer und die Treppe hinab voraus. Cassie nahm den Hund nicht an die Leine. Sie hatte bereits herausgefunden, dass er das Gehorsamstraining schon absolviert hatte, und außerdem neigte er dazu, nahe bei ihr zu bleiben, wenn sie draußen waren.
Sie nahm ihre Steppjacke von dem Ständer bei der Eingangstür. Es war erst drei Uhr nachmittags, aber der Wetterdienst hatte Schnee angekündigt, und sowohl die eisige Luft als auch die niedrigen, dicken grauen Wolken deuteten darauf hin, dass es diesmal stimmen könnte.
Cassie liebte dieses Wetter. Sie schob die Hände in die Taschen ihrer Jacke und machte sich auf den Weg über die Felder nahe dem Haus, teilte ihre Aufmerksamkeit zwischen Max, der fröhlich jeden Stein und jedes Loch im Boden erkundete, und der kargen, kahlen Schönheit ihrer Umgebung.
Hier fiel es leicht, andere Dinge zu vergessen.
Der Mörder war in den letzten Tagen still geblieben. Soweit sie wusste, hatte er nicht wieder gemordet – und Cassie hatte nicht mal ein Flüstern von ihm aufgefangen.
Das war ein Schweigen, über das sie nur glücklich sein konnte.
Falls die Ermittlungen Fortschritte machten, erfuhr sie nichts über die Einzelheiten. Der Sheriff hatte sich nicht mit ihr in Verbindung gesetzt. Ben hatte am vorherigen Nachmittag angerufen, um zu erfahren, wie es ihr ging, und war erleichtert gewesen, zu hören, dass sie sich einen Hund angeschafft hatte. Er hatte ihr nichts über die Ermittlungen berichten können; ein anderer, schwieriger Fall hielt ihn mehr im Gericht fest, als er erwartet hatte, und gab ihm wenig Gelegenheit, mit Matt zu sprechen. Er hatte müde und ein bisschen ruhelos geklungen.
In der Zeitung hatte über die paar dürftigen Fakten hinaus auch nicht viel mehr gestanden. Becky Smith war beerdigt worden, aber die Bestattungen der beiden anderen Opfer waren auf unbestimmte Zeit verschoben, während die Suche nach Beweisen fortgesetzt wurde.
Vermutlich eine kluge Entscheidung des Sheriffs, die sich jedoch auf die Stimmung der Einwohner nicht sonderlich gut auswirkte. Mit zwei Leichen im Kühlraum des örtlichen Beerdigungsunternehmers und der sichtbaren Verstärkung der Polizeipräsenz in der ganzen County würde niemand so schnell die mögliche Bedrohung vergessen. Eine Ausgangssperre war nicht verhängt worden, doch die Zeitung berichtete von ungewöhnlich ruhigen Straßen nach Einbruch der Dunkelheit und dass Frauen zu fast allen Tageszeiten nur zu zweit, in Gruppen oder in männlicher Begleitung unterwegs wären.
Wäre Cassie optimistisch gewesen, hätte sie die Hoffnung haben können, dass der Mörder verschwunden war und sich in andere Jagdgründe abgesetzt hatte. Sie war aber kein Optimist. Und sie war mehr als nur halbwegs davon überzeugt, dass der Sheriff recht hatte und der Mörder ein Einheimischer war, in dieser Gegend geboren und aufgewachsen. Und noch immer hier.
Irgendwo.
Als sie merkte, was sie tat, und zugeben musste, dass es doch nicht so leicht war, alles zu vergessen, schlug sich Cassie die Gedanken an den Mörder entschlossen aus dem Kopf.
»Genug«, sagte sie laut.
Max kam mit einem Stock angerannt, und sie verbrachte die nächste Viertelstunde damit, den Stock für ihn zu werfen. Sie fand das Spiel noch vor ihm ermüdend; er trug den Stock immer noch im Maul, als Cassie kehrtmachte, um nach Hause zu gehen.
Max ließ den Stock sofort fallen, als er den parkenden Jeep in der Auffahrt erblickte, und sein kehliges Bellen hallte über das Feld, seltsam hohl in der kalten, stillen Luft. Cassie sah Ben von den Stufen der Veranda kommen und in ihre
Weitere Kostenlose Bücher