Eisige Schatten
der Nacht dafür, ihn kleinzukriegen.« Sie hielt Ben die Tasse hin, und als er sie ihr abnahm, fügte sie hinzu: »Setzen Sie sich doch.«
Er entschied sich für die andere Seite des Sofas und setzte sich halb schräg, damit er Cassie anschauen konnte. »Ich hoffe, ich störe Ihre Routine nicht.«
»Nein, ich war dabei, Tante Alex’ Sachen auszusortieren, aber ich lasse mir Zeit damit.« Sie deutete auf einen großen Karton auf einem Stuhl in der Nähe des Sofas. »Da drin sind hauptsächlich Papiere, Korrespondenzen und so. Den schaue ich wahrscheinlich heute Abend durch. Doch das hat keine Eile.«
»Sonst hat Sie also nichts belästigt?« Cassie schüttelte den Kopf und trank von ihrem Kaffee. »Nein, nichts. Ich hätte den Sheriff angerufen und ihm angeboten, es noch mal zu probieren, gehe aber davon aus, dass er entschlossen ist, die Ermittlungen zunächst auf die übliche Weise durchzuführen. Er wird sich erst an mich wenden, wenn er wirklich verzweifelt ist.«
Ben lächelte nicht. »Glauben Sie, dass er es tun wird?«
»Wenn Sie meinen, ob ich glaube, dass die Morde zu Ende sind – nein, das glaube ich nicht.«
»Warum nicht? Vielleicht waren ihm drei genug.«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Ihn erfüllt ein … Bedürfnis, ein Hunger. Töten stillt etwas in ihm. Das Entsetzen der Opfer stillt etwas in ihm. Aber er ist noch nicht gesättigt. Er wird wieder töten.«
»Also können wir nur warten, bis er es wieder tut«, sagte Ben. »Matts Ermittlungen haben bisher nichts Neues aufgedeckt oder zumindest nichts Hilfreiches. Es haben sich keine Zeugen gemeldet. Es gibt keinen ernsthaften Verdächtigen. Und die ganze Stadt hält den Atem an.«
Cassie weigerte sich, es für ihn auszusprechen. Sie wartete einfach ab.
Ben schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist Matt bereit, abzuwarten und sich auf die traditionellen Polizeimethoden zu verlassen, aber ich nicht. Nicht, wenn es eine andere Möglichkeit gibt. Cassie, würden Sie es noch mal versuchen? Schauen, ob Sie irgendwelche neuen Informationen auffangen können, die uns vielleicht dabei helfen, diesen Drecksack zu erwischen, bevor er erneut tötet?«
»Was würde der Sheriff dazu sagen?«
»Er hat eine Menge dazu gesagt«, erwiderte Ben mit einer Grimasse. »Vor allem, als ich sagte, ich wolle Sie dafür nicht in sein Büro bringen und damit die Aufmerksamkeit einer so nervösen und wachsamen Stadt auf Sie lenken. Er weigerte sich, hier heraus zu kommen, und wollte mir nichts mitgeben, das Sie berühren können. Doch schließlich gab er nach, wahrscheinlich, um mich aus seinem Büro loszuwerden.«
»Sie waren also nicht nur zufällig hier in der Gegend, was?«
Er zögerte. »Ich hätte vorher angerufen, aber ich wollte Sie sehen, bevor ich Sie darum bäte, es erneut zu versuchen, wollte sichergehen, dass Sie nicht mehr so erschöpft sind wie zuvor. Um ehrlich zu sein, ich bin eine halbe Stunde in der Gegend herumgefahren, bevor ich mich durchringen konnte, Sie darum zu bitten.«
Cassie glaubte ihm gern. Das erklärte seine Unbehaglichkeit seit seiner Ankunft. Er begriff allmählich, was es sie kostete, und er war hin- und hergerissen zwischen seinem Bedürfnis und dem Widerstreben, ihr Schmerz zuzufügen.
»Ist schon in Ordnung«, sagte sie. »Ich hatte mich bereit erklärt, Ihnen zu helfen.«
Er warf ihr einen schnellen Blick zu. »Sie wollten damit aufhören, Cassie, und das wissen wir beide.«
»Und wir wissen ebenfalls beide, dass mir keine andere Wahl bleibt. Nicht, wenn ich hier bleiben will.« Sie hielt inne. »Und ich bleibe hier. Also zeigen Sie mir schon, was Sie mir zum Berühren mitgebracht haben.«
Ben stellte seine Tasse ab und ging zu seinem Jackett auf dem Sessel neben dem Kamin. Als er zurückkam, hielt er eine kleine Plastiktüte mit dem Aufdruck BEWEISMITTEL in der Hand. Drinnen lag ein Fetzen graubrauner Stoff.
»Matt meinte, der würde Ihnen vielleicht etwas sagen.« Cassie stellte ihre Tasse ebenfalls weg, griff nach dem Beutel und öffnete ihn. Sie machte sich innerlich bereit, schloss die Augen und nahm das Stoffstück zwischen die Finger.
Ben beobachtete sie. Seit sie neulich Abend seine Gedanken nicht lesen konnte, selbst nachdem sie ihn berührt hatte, fand er, dass sie in seiner Gegenwart ein bisschen weniger argwöhnisch war. Jedenfalls stellte sie öfter Blickkontakt her als zuvor.
Aber sie war nach wie vor sehr in sich verschlossen, zurückhaltend und wachsam. Ihr Lächeln war stets kurz, ihre Augen
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