Eisige Schatten
freizubekommen, vielleicht irgendwann nächste Woche. Wir könnten in die Berge fahren. Außer, sie schnappen dieses Dreckschwein vorher.«
»Warten wir erst mal ab.«
»Ich müsste mich aber rechtzeitig für Urlaub eintragen.«
Hannah überlegte und nickte dann. »Ich glaube, ich würde gern für eine Weile aus der Stadt wegkommen. Selbst wenn sie ihn schnappen.«
»Gut, ich werde sehen, ob die Personalabteilung mir ein paar Tage freigeben kann. Hör halt auf, dir Sorgen zu machen, Baby, in Ordnung?«
»Ich werd’s versuchen. Aber ich muss morgen früh Lebensmittel einkaufen«, sagte sie.
»Ich bin gegen halb neun zu Hause. Ich fahre dich.«
»Du brauchst deinen Schlaf.«
»Ich kann später schlafen. Jetzt komm – und schließ die Tür hinter mir ab.«
Hannah begleitete ihn zur Vordertür ihres kleinen Hauses und küsste ihn zum Abschied, klammerte sich vielleicht ein wenig fester an ihn als gewöhnlich. »Fahr vorsichtig. Es schneit immer noch.«
»Das mach ich, keine Bange.« Joe gab ihr einen Klaps auf den Po und flüsterte ihr etwas Anzügliches ins Ohr, woraufhin sie lächelte und ihn daran erinnerte, dass sie keine Zeit dafür hatten und er zu spät zur Arbeit kommen würde. Er grinste und zwinkerte ihr zu.
Und dann war er fort.
Hannah schloss die Tür hinter ihm ab und überprüfte das Schloss zwei Mal. Sie nahm Beason mit, als sie schließlich ins Bett ging, obwohl er eigentlich auf seiner Decke im Wohnzimmer bleiben sollte.
Sie schaltete den Fernseher ein und schaute sich einen uralten Film an, damit sie nicht der tiefen Stille einer verschneiten Nacht lauschen musste.
»Gary«, sagte Abby.
Er hielt den Blick auf den Hund gerichtet und machte keine Anstalten, die Schwelle zu übertreten. »Wo zum Teufel hast du den her?«, wollte er wissen.
Abby wollte ihm gerade antworten, als ihr aufging, dass sie das nicht brauchte. »Gary, was machst du hier? Es ist fast Mitternacht.« Sie bemühte sich nicht, den knurrenden Hund an ihrer Seite zu beruhigen.
Gary riss seinen Blick von dem Hund los und lächelte sie an. Es war das charmante Lächeln, auf das sie als Achtzehnjährige hereingefallen war, zu jung und unerfahren, um sich Sorgen über sein brütendes Schweigen und die Ausbrüche eifersüchtiger Wut zu machen. Damals war er ein ausgesprochen gut aussehender Mann gewesen. Mit vierzig wurde er beleibter – um die Mitte und im Gesicht. Zu viele Jahre, in denen er seinen Launen und seinem Appetit nachgegeben hatte, waren nicht ohne Folgen geblieben.
»Ich wollte dich nur sehen, Abby. Was soll daran falsch sein?«
Sie war voller Angst gewesen und gab sich Mühe, sich ihre überwältigende Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Er wusste nichts von Matt, zumindest jetzt noch nicht. Wenn ja, wäre er nicht fähig gewesen, darüber zu schweigen; bei Gary zeigte sich Eifersucht sofort und unmissverständlich.
Abby atmete tief durch und sprach mit fester, unbewegter Stimme. »Gary, es ist schon spät, das Wetter ist miserabel, und ich bin müde. Und falls das nicht reicht, darf ich dich daran erinnern, was Richter Ryan dir gesagt hat. Du wohnst hier nicht mehr, und wenn du weiterhin unangekündigt hier auftauchst, lasse ich dir Hausverbot erteilen. Das willst du doch nicht, oder? Dass vor Gericht über deine Angelegenheiten geredet wird und jeder es mitbekommt?«
Es war das einzige Druckmittel, das sie gegen ihn besaß, und sie wandte es nur vorsichtig an, um es nicht abzunützen. Gary war Vizepräsident einer der örtlichen Firmen, einer Bauentwicklungsgesellschaft, die in der Stadt hoch angesehen und sehr bekannt war, und sein Ruf bedeutete ihm viel. Eine Scheidung war das eine; eine Scheidung von einer Ehefrau, die sich auf körperliche und seelische Misshandlung während einer dreizehnjährigen Ehe berief, war etwas ganz anderes.
Sie war am Tag nachdem sie Gary – mit vorgehaltener Waffe, seiner eigenen – befohlen hatte, das Haus zu verlassen, zu Ben Ryan gegangen. Er hatte sich ihre Geschichte angehört, die ganze traurige und schmutzige Geschichte, die Matt immer noch nicht kannte, und hatte ihr sowohl echtes Mitgefühl gezeigt als auch hervorragende juristische Ratschläge gegeben. Mehr noch, er hatte Gary einen diskreten Besuch abgestattet und ihm sehr deutlich gemacht, dass er entweder einer Scheidung ohne Anfechtung zustimmen konnte oder eine Anklage wegen schwerer tätlicher Misshandlung und eine Scheidung aufgrund extremer Grausamkeit zu gewärtigen habe.
In den
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