Eisige Umarmung (German Edition)
Hund jagen lassen. Die Druckpistole in seiner Hand hatte Tim wehrlos und zu einem leichten Opfer gemacht. Er konnte sie auch bei Brenna anwenden. Die Hure mit ihren verrückten Augen würde ihm jedenfalls sein Leben nicht zerstören.
Judd folgte Brenna mit den Augen, bis sie am Ende des Korridors angelangt war und sich in den Strom der Vorbeigehenden eingereiht hatte. Sein militärisch geschulter Verstand hatte etwas gespürt, als er die Tür geöffnet hatte, aber er konnte keinen Grund erkennen, warum seine Alarmsignale losgegangen waren. Dennoch rührte er sich erst von der Stelle, als sie in Sicherheit war.
Er schloss die Tür und sah auf seine Hand, ballte sie ein ums andere Mal zur Faust, um die Hitze loszuwerden, die er seit der Berührung von Brenna fühlte. Es war eine völlig irrationale Handlung gewesen, nicht ein Gedanke, sondern ein verschütteter Instinkt hatte einen Augenblick lang seine Konditionierung durchbrochen, als er den Bluterguss auf ihrer Haut gesehen hatte.
Das Läuten seines Handys erinnerte ihn daran, dass seine Arbeit noch nicht getan war. Er konnte es sich nicht leisten, von einer Gestaltwandlerin abgelenkt zu werden, die ihn darum bat, ihre Albträume verschwinden zu lassen. Als wäre er … gut. Was würde Brenna wohl dazu sagen, wenn er ihr eröffnete, dass er der Albtraum war?
Ein zweites Läuten. Er griff nach dem Handy, stellte den Ton ab und ging ins Bad, um sich zu duschen. Auf der Handfläche spürte er immer noch die weiche Frauenhaut, aber das würde sich bald geben – der Geruch des Todes löschte mit seiner Eiseskälte alles aus.
Und er konnte sehr gut morden, dachte Judd, als er einpackte, was er an diesem Abend für die Überwachung brauchte. Schon mit zehn war er gut darin gewesen. Heute würde er nur jemandem folgen, aber in ein paar Tagen würde er zuschlagen. Die Bomben waren fast fertig. Er wartete nur noch auf den richtigen Zeitpunkt, die passende Gelegenheit. Dann würde wieder Blut spritzen, dann würde auf seiner Haut die scharlachrote Blume sprießen, die sein wahres Wesen enthüllte.
5
In der samtschwarzen Nacht des Medialnets schlug die Tür eines geheimen Verlieses zu. Das Medialnet war ein unendlich großes geistiges Netzwerk, es verband Millionen von Medialen in aller Welt, enthielt ihr ganzes Wissen und wurde durch das Einspeisen neuer Daten jede Millisekunde aktualisiert. Außerdem bot es den Angehörigen seines Volkes die Möglichkeit zu einem sofortigen Treffen, ganz egal, wo sich ihre Körper gerade befanden. In diesem Augenblick strahlten sieben Sterne im schwärzesten Kern des Medialnets so kalt und weiß, dass man sich fast an ihnen schneiden konnte.
Der Rat der Medialen befand sich in einer Sitzung.
Kaleb meldete sich als Erster zu Wort. „Was habt ihr euch bloß dabei gedacht?“ Die Frage galt den mächtigen und gefährlichen Gehirnen von Henry und Shoshanna Scott, den miteinander verheirateten Ratsmitgliedern. „Das Liu-Unternehmen war nicht begeistert davon, dass jemand in die Archive der Familie eingedrungen ist und die Akten einiger Familienmitglieder mit einem Risikovermerk versehen hat.“ Allen war bewusst, dass nur ein kleiner Schritt den Risikovermerk von einer Verurteilung zur Rehabilitation trennte.
„Wir sind der Rat.“ Shoshanna sprach auch für Henry, was in letzter Zeit auffallend oft der Fall war. „Wir müssen unsere Handlungen nicht vor der Öffentlichkeit rechtfertigen.“
Tatiana Rika-Smythe mischte sich ein. „Ich nehme an, ihr habt euch auch mit anderen Familien befasst. Was für ein Ziel habt ihr dabei verfolgt?“
„Wir wollten diejenigen im Auge behalten, die eine Bereitschaft dazu haben, mit Silentium zu brechen.“
„Dafür ist die Rehabilitation zuständig.“ Tatianas Feststellung hatte etwas Endgültiges.
„Dann erklärt mir doch bitte, was mit Sascha Duncan und Faith NightStar passiert ist“, fragte Shoshanna, sie bezog sich dabei auf die beiden letzten Abtrünnigen. „Sagst du es mir, Nikita? Schließlich ist Sascha doch deine Tochter.“
„Das waren Ausnahmen.“ Kaleb schlug sich bewusst auf Nikitas Seite. „Außerdem hat es den Anschein, als hättet ihr schon vorher unerlaubt Nachforschungen angestellt, es kann also keine logische Verbindung zwischen diesen beiden geben.“
„Wir sahen so etwas kommen, und ihr alle habt es nicht bemerkt.“ Shoshanna wusste, dass es vergebliche Liebesmühe gewesen wäre, den Charme einzusetzen, den sie bei ihren Auftritten in den Medien nutzte.
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