Eisige Umarmung (German Edition)
Vaughn. Sein warmer Körper war so verführerisch, dass Faith noch näher heranrückte und ihre Hand auf seinen muskulösen Oberschenkel legte. „Würde dieses Implantat die Medialen nicht noch viel mächtiger machen?“
Anthony nickte. „Einerseits ja, aber nach Meinung der Dissidenten stellt Programm 1 zwar die vollständige Kontrolle von Silentium sicher, hätte aber den unvermeidbaren Nebeneffekt, unsere Gehirne miteinander zu vernetzen. Und zwar auf einer physischen Ebene und nicht nur psychisch wie im Medialnet.“
Programm 1.
Es war ein schlechtes Zeichen, dass sie ihm schon einen Namen gegeben hatten. „Das heißt im wahrsten Sinne des Wortes ein kollektives Gehirn.“ Faith konnte den Ekel nicht unterdrücken, den sie empfand.
„Ja. Eine nicht gerade angenehme Vorstellung für diejenigen von uns, die ihre Unternehmen gerne ohne äußere Einmischung führen. Das wäre nicht mehr möglich, wenn alle wie ein einziges Wesen handeln.“ Anthony holte seinen Organizer hervor – ein schmales Notepad, das zur Grundausstattung der Medialen gehörte. „Nach der Art der Angriffe zu urteilen, scheint das Gespenst dieselben Ziele zu verfolgen wie wir. Aber solange wir seine oder ihre Identität nicht kennen, können wir unsere Aktionen nicht koordinieren.“
Vaughn beugte sich vor. „Die Gefahr einer Entdeckung wird größer, je mehr Leute Bescheid wissen. Ich denke, Sie sollten das Gespenst seine Arbeit machen lassen und auf der Welle mitreiten.“
„Ganz meine Meinung.“ Anthony klang so, als sei das Thema damit für ihn beendet. Er lud etwas auf den Bildschirm seines Organizers. „BlueZ wartet schon seit einem Monat auf eine Vorhersage. Könntest du sie an die Spitze deiner Liste setzen?“
Faith nahm auch ihren Organizer in die Hand. „Ich kann es versuchen.“ Sie war immer noch nicht dahintergekommen, wie sie die Visionen lenken konnte. Anscheinend hatte der Rat zumindest an dieser Stelle nicht gelogen – vielleicht gab es wirklich keine Möglichkeit, ihre Gabe auf diese Weise zu nutzen.
Anthony ging zu einem anderen Thema über. Eine halbe Stunde später war ihr Gespräch beendet, und Faith umarmte ihn zum Abschied. Er erwiderte die Geste nicht, gab ihr aber einen leichten Klaps auf den Rücken. Nur jemand, der Silentium am eigenen Leib gespürt hatte, konnte verstehen, wie unglaublich viel in dieser Geste steckte. Faith hatte Tränen in den Augen, als Anthony sich abwandte und hinausging.
Barker, ein Soldat der DarkRiver-Leoparden, wartete schon, um ihn vom Hauptsitz des Rudelunternehmens abzuholen und zu begleiten. Das Gebäude lag mitten in San Francisco, in unmittelbarer Nähe der chaotischen Chinatown, und war jedem zugänglich und doch sehr sicher.
„Komm her, Rotfuchs.“ Vaughn zog sie in seine Arme, seine raue Zuneigung brachte den Kloß in ihrem Hals zum Schmelzen.
Manchmal fürchtete sie sich vor der Stärke ihrer Empfindungen. „Dieses Gespenst ist sehr wichtig.“ Sie hatte eine Ahnung gehabt, keine Vision, aber einen Hinweis auf mögliche Ereignisse.
Dann hatte sie eine wirkliche Vision. Ein Bild aus der Zukunft flammte kurz auf.
Es betraf aber nicht das Gespenst. Es ging um Brenna und um den Tod. Die Wölfin war von Tod und Verfall umgeben, ihre Hände blutbesudelt. Wessen Blut war es? Faith wusste es nicht, aber sie konnte es riechen, Angst und Verzweiflung spüren. Dann verschwand die Vision, Faith blieb nicht einmal ein Nachbild auf ihrer Netzhaut, und sie war auch nicht so konfus, wie sonst oft nach diesen Erscheinungen.
Es war nichts wirklich Konkretes gewesen, das sie Brenna hätte mitteilen können, aber ihr Gefühl nach dem Gespräch mit ihr hatte sich bestätigt. In Vaughns Armen kam sie wieder auf das eigentliche Thema zurück. „Meinst du, ich sollte mit dem Netkopf über das Gespenst sprechen?“ Der Netkopf war in geistigen Netzwerken zu Hause und trug Informationen zusammen. Manche glaubten sogar, er sei so etwas wie die Geheimpolizei des Medialnets. Aber Faith wusste, dass weit mehr dahintersteckte.
„Der Kerl scheint doch ganz gut allein zurechtzukommen. Bist du sicher, dass du dich da einmischen willst?“
„Ich hätte mir ja denken können, dass du dich auf die Seite des einsamen Wolfes schlägst“, neckte sie ihn.
Er knurrte, und sie spürte die Vibrationen an der Wange. „Vergleich mich bloß nicht mit diesen Wilden.“
Sie sah hoch und lächelte. „Ich weiß: verfluchte Wölfe.“ Ein häufig verwendeter Ausdruck unter den
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