Eisige Versuchung
hat, dich einzufangen und zu versklaven.« Als er mit den Zähnen knirschte, wusste sie nicht, ob er das wegen Hartcourt tat oder weil es ihm immer schlechter ging. Sein Teint war blass, dennoch lief eine Schweißperle über seine Schläfe hinab. »Aber ein Eisengel darf sein Opfer nur ein einziges Mal angreifen, so lautet die Regel. Wehrt es sich erfolgreich, muss er unverrichteter Dinge wieder abziehen, es sei denn, er wird enttarnt.«
Und wird von seinem Herrn bestraft, vermutete Shade. Ihr ging ein Licht auf. »Natürlich, sonst wären unsere Gefängnisse nicht überfüllt, sondern alle Massenmörder längst in der Hölle!«
Roque nickte und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Manchmal macht sich mein Meister aber auch einen Spaß daraus, Sünder auf der Erde zu lassen, weil sie ihm dort mehr Freude bereiten.«
»Könnte der Sheriff so jemand sein?«
»Zu uninteressant, glaube ich.« Seine Miene verzog sich immer mehr, offenbar nahmen seine Brustschmerzen zu. »Aber ich spüre, dass ich meiner Zielperson näher komme. Mein Auftrag muss etwas mit Hartcourt zu tun haben. So etwas ist mir bisher noch nie passiert. Diese Mission war von Anfang an nebulös. Ich kann meine Beute nicht klar sehen wie üblicherweise, aber der Schleier lichtet sich immer mehr, und es hat etwas mit dem Sheriff zu tun. Je mehr wir seine Machenschaften aufdecken, desto stärker rinnt das Adrenalin des Jägers durch meine Adern.«
»Das ist doch gut, oder nicht?« Sachte drückte sie seinen Oberarm, fragte sich aber gleichzeitig, ob nicht ebenjenes Adrenalin die Qualen verursachte. »Das bedeutet, dass wir ihn bald haben.«
»Kein Grund zu feiern.« Seine Stimme bekam plötzlich einen rauen tiefen Klang. »Ich wünsche niemandem, absolut niemandem, in die Fänge des Eisigen Lords zu geraten, nicht einmal meinem ärgsten Feind.«
Shade erschauderte.
Sein Blick richtete sich auf die Berge. »Wir sehen uns später, in Ordnung? Ich muss dringend meine Schwingen ausbreiten. Das Tattoo brennt wie Feuer. Ich habe meine wahre Gestalt in den letzten Tagen zu oft verborgen.«
Roque wollte gehen, doch sie krallte ihre Finger in sein Hemd. »Nein, du kommst mit auf mein Zimmer!«
»Ich möchte nicht, dass mein Herr auf dich aufmerksam wird.« Behutsam streifte er ihre Hand ab.
»Das ist mir egal.« War es in Wahrheit nicht. Allein die Vorstellung, ihm eines Tages zu begegnen – sei es auch nur in Form seines frostigen Atems, der Bill Gold fast getötet hatte –, machte ihr Angst, aber diese Gefahr wollte sie gern für Roque eingehen.
»Er könnte kommen, um nachzuschauen, warum ich so lange brauche, um meine Beute aufzuspüren. Dann sollte er mich nicht in deinen Armen finden.«
»Ich werde dich jetzt, wo es dir so schlecht geht, nicht allein lassen!« Breitbeinig stellte Shade sich vor ihn hin, straffte ihre Schultern und stemmte ihre Fäuste in die Hüfte. Dennoch blieb sie im Vergleich zu ihm klein. Sie musste immer noch zu ihm aufschauen.
Er strich so flüchtig über ihre Wange, dass sie die Berührung kaum wahrnahm, als befürchtete er, seinen Duft auf ihr zu hinterlassen – eine Spur, die seinen Meister zu ihr führen konnte. »Das ist unvernünftig.«
»Das ist Liebe«, korrigierte Shade ihn in Gedanken, sprach es jedoch nicht aus, um Roque durch ihre intensiven Gefühle nicht zu verschrecken. Denkbar, dass er die Konsequenz zog und nie wieder zu ihr zurückkehrte, um sie zu schützen, wenn er erfuhr, wie es um sie bestellt war. »Keine Widerrede mehr!«
»Shade«, setzte er in rügendem Tonfall an, aber er blieb stehen, statt einfach fortzugehen, denn sie hätte ihn nicht aufhalten können.
»Steig ein!« Sie ging um ihren Wagen herum auf die Fahrerseite und öffnete die Autotür.
»Ich wusste gar nicht, dass du eine dominante Seite hast.« Frivol grinsend stützte Roque sich mit seinen Unterarmen auf dem Dach des SUV ab.
»Steig ein, sage ich!«
»Es macht mich an, wenn du so mit mir sprichst.« Einige Sekunden lang betrachtete er sie. Dann nahm er auf dem Beifahrersitz Platz, allerdings lehnte er sich nicht an.
Shade setzte sich neben ihn und fuhr eilig los, damit sie so schnell wie möglich zur Wild Goose kamen. Seine Tätowierung tat weh wie eine Kälteverbrennung, hatte er ihr erklärt, als wären die Linien mit Trockeneis gezeichnet worden. Eine solche Pein konnte nur ein übernatürliches Wesen aushalten.
»Welch eine Ironie!«, kam es ihr in den Sinn. Der Eisige Lord machte aus all den Mördern und
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