Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
in Richtung Themse hinunterfließt. Dann kommen nicht nur irgendwelche Leute auf die Schnapsidee, die Quelle zuzubauen, sondern vergessen auch noch, wo sie war!«
»Klingt nach einem schlechten Start.«
»Ich bin keine Touristenführerin oder so was in der Art. Glaub ja nicht, dass ich London nur liebe. Ganz im Gegenteil, die meiste Zeit hasse ich es sogar. Manche Teile hasse ich immer. Aber egal, jedenfalls würden wir durch den Belsize Park in Richtung Swiss Cottage gehen, wo man noch das Gefälle spürt. Dann weiter in den Regent’s Park und an dem kleinen See entlang, auf dem man Boot fahren kann.«
»Und während wir dahinmarschieren, erzählst du mir, wie es dir geht«, schlug Sandy vor. »Vermutlich bist du ein bisschen angeschlagen, vor allem wegen der gehässigen Artikel in der Presse.«
Frieda fiel es erstaunlich leicht, mit dieser Stimme zu sprechen, die aus der Dunkelheit kam, so dass sie Sandys Reaktion nicht sah, sondern ihn nur spürte. »Ich habe mir von klein auf immer eingebildet, unsichtbar zu sein. Damit meine ich nicht nur manchmal, sondern die ganze Zeit. Ich war der festen Überzeugung, wirklich unsichtbar zu sein, aber wie sich nun herausstellt, ist dem wohl doch nicht so. Deswegen fühle ich mich jetzt mehr oder weniger, als hätte man mich auf den Stadtplatz gezerrt, dort vor aller Augen gehäutet und mir dann Salz und Schwefelsäure ins Fleisch gerieben.«
»Aber du wirst darüber hinwegkommen.«
»Ich bin schon darüber hinweg.«
»Wo sind wir inzwischen?«
»Immer noch an dem kleinen Teich, auf dem man Boot fahren kann. Vermutlich fließt der Fluss durch diesen Teich.«
»Vermutlich?«
»Es ist schwer nachzuprüfen. Wie auch immer, jedenfalls verlassen wir jetzt den Park und gehen die Baker Street entlang.«
»Vorbei an Madame Tussaud’s.«
»Richtig.«
»Ist das Wachsfigurenkabinett eigentlich einen Besuch wert?«
»Ich war nie drin.«
»Wirklich nicht? Warst du je im Tower of London?«
»Nein«, antwortete Frieda.
»Ich schon, als Kind.«
»Hat es dir gefallen?«
»Ich kann mich gar nicht mehr richtig daran erinnern«, gestand er. »Wie geht es weiter?«
»Jetzt kommt der schönste Teil der Wanderung: durch die Paddington Street Gardens, die kein Mensch kennt, obwohl sie nur eine Gehminute von Madame Tussaud’s entfernt liegen. Dann überquert man die Marylebone High Street und geht die Marylebone Lane entlang. Für kurze Zeit hat man das Gefühl, in einem kleinen Dorf gleich außerhalb von London am Ufer eines Bachs entlangzuspazieren. Bloß dass da gar kein Bach ist – oder zumindest keiner, den man sehen kann, auch wenn er dort irgendwo sein muss.«
»Du hast ihnen das Handwerk gelegt«, sagte Sandy.
»Die Polizei hat ihnen das Handwerk gelegt.«
»Ohne deine Leistung gebührend zu würdigen.«
»Vielleicht ist es mir ja ohne Würdigung lieber.«
»Jetzt bricht wieder dein Unsichtbarkeitswahn durch. Diese beiden, Bruder und Schwester, haben den Mann also nur wegen des Geldes gefoltert und getötet?«
»Den nächsten Teil der Wanderung mag ich gar nicht«, fuhr Frieda fort. »Plötzlich verlässt man das Dorf und befindet sich mitten im West End. Der Fluss bildete hier früher mal die Trennlinie zwischen zwei großen Anwesen, aber übrig geblieben sind nur schrecklich große Gebäude, Hotels, Büros, Parkhäuser. Robert Poole hat alle durchschaut, mit Ausnahme von Tessa und Harry Welles. Als er ihretwegen in der Klemme saß, konnte er sich nicht mehr herausreden. Die beiden hatten es nur auf sein Geld abgesehen. Sie schreckten nicht einmal davor zurück, ihm einen Finger abzuschneiden, um ihm die Einzelheiten zu entlocken.«
»Ein reizendes Paar.«
»Dadurch sind sie wohl auf den Geschmack gekommen. Es ist schon seltsam …« Frieda hielt einen Moment inne. »Bist du sicher, dass du nicht lieber schlafen willst?«
Wieder spürte sie seine Berührung.
»Selbst wenn ich könnte, würde ich jetzt nicht schlafen wollen.«
»Anfangs«, fuhr sie fort, »ist es durchaus ein Unterschied, ob man etwas nur tut oder es wirklich verkörpert, aber mit der Zeit verwischt die Grenze, und beides geht ineinander über. Ich meine, erst spielt man nur ein bisschen Klavier, aber mit der Zeit wird man immer besser, und irgendwann ist man dann ein richtiger Pianist. Das, was man immer wieder macht, geht einem in Fleisch und Blut über und wird Teil der eigenen Identität. Robert Poole haben die beiden nur wegen des Geldes ermordet, wodurch sie sich dann aber mehr oder
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