Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
Richtung Oxford Street verschwunden war, ließ sie sich gegen einen Lampenpfosten sinken und lehnte die Stirn an das kalte Metall, während sie mehrmals tief ein- und ausatmete. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie zu sich selbst, »es ist alles in Ordnung.«
Sie zog ihr Handy heraus und schaltete es an. Sie hatte eine Nachricht bekommen und rief sofort zurück. »Entschuldige«, sagte sie, »bei mir ging alles ein bisschen drunter und drüber, aber jetzt ist es vorbei … Ja, das wäre schön … Nein. Komm einfach zu mir nach Hause.«
Als Frieda in der Dunkelheit erwachte, spürte sie sofort seine ungewohnte Gegenwart. Die zweite Kuhle im Bett, seinen Atem, sein Bein an ihrem Oberschenkel. Ihr erster Impuls war aufzustehen und sich anzuziehen, um möglichst schnell aufbrechen zu können.
»Immer mit der Ruhe«, sagte eine Stimme. Frieda ließ sich zurücksinken. Er deckte sie wieder zu und streifte dabei mit der Hand ihren Körper. Dann spürt sie sein Gesicht an ihrem – seine Lippen an ihrer Wange, ihrem Hals, ihren Schultern.
»Einem Freund von mir ist mal was ganz Komisches passiert«, begann Sandy. »Er ist ein streitsüchtiger Kerl, dem eine Meinungsverschiedenheit immer gelegen kommt. Während eines Abendessens geriet er mit einer Frau in Streit, schrie sie an, sie könne ihn mal, und stürmte hinaus. Erst nachdem er die Haustür hinter sich zugeknallt hatte und draußen auf der Straße stand, wurde ihm bewusst, dass er aus seinem eigenen Haus gestürmt war.«
»Alles klar«, sagte Frieda, »ich hab’s verstanden.«
»Du erweckst immer den Eindruck, als wärst du gerade auf dem Sprung. Man muss ständig damit rechnen, dass du einfach aufstehst und irgendwohin verschwindest.«
»Das mache ich immer, wenn ich Angst habe. Wenn ich nicht schlafen kann – was meistens der Fall ist – oder wenn mir der Kopf brummt, ich durcheinander bin oder mich einfach nicht stillhalten kann, gehe ich raus und marschiere los. Dann wandere ich oft stundenlang durch die Stadt.«
»Verläufst du dich da nicht manchmal?«
»Nein. Ich kenne mich gut aus.«
Sie spürte seine Hände auf ihrer Haut, sein Gesicht an ihrem.
»Du riechst so gut«, flüsterte er.
Frieda fühlte sich ganz seltsam. Plötzlich musste sie daran denken, wie ihr Vater sie als ganz kleines Mädchen immer in die Luft geworfen und wieder aufgefangen hatte. Sie hatte dabei laut gekreischt, ohne selbst so recht zu wissen, ob vor Vergnügen oder Furcht. Nachdenklich ließ sie die Finger durch Sandys feuchtes Haar gleiten. Ihr eigenes Haar fühlte sich ebenfalls ein wenig nass an. »Wahrscheinlich rieche ich nach dir«, antwortete sie.
Einen Augenblick lagen sie schweigend ineinander verschlungen da.
»Hast du jetzt auch wieder dieses Gefühl«, sagte Sandy schließlich, »dass du am liebsten aufstehen und zu einem deiner Fußmärsche aufbrechen würdest?«
»Dieses Gefühl habe ich die meiste Zeit.«
»Gehst du immer allein?«
»Nicht immer.«
»Wenn du mich auf eine deiner Wanderungen mitnehmen würdest, wohin würden wir gehen?«
»Die Flüsse entlang«, antwortete sie. »Manchmal wandere ich die alten Flüsse entlang.«
»Flüsse wie die Themse?«
»Nein«, entgegnete Frieda, »keine offen dahinströmenden Flüsse wie die Themse selbst, sondern ihre alten Zuflüsse, die inzwischen begraben sind.«
»Begraben? Wieso denn das?«
»Das frage ich mich auch immer«, antwortete Frieda. »Meiner Meinung nach erfinden die Leute dafür die unterschiedlichsten Gründe: dass diese Flüsse die Gesundheit gefährden oder ein Verkehrshindernis darstellen oder sonst irgendwie gefährlich sind. Manchmal glaube ich, dass Flüsse und Bäche vielen Menschen ein unbehagliches Gefühl bereiten: Sie sind nass, bewegen sich, lassen Wasser aus dem Boden blubbern, steigen über die Ufer oder trocknen aus. Besser, man sorgt einfach dafür, dass man sie nicht sieht.«
»Welchen verschwundenen Fluss wollen wir denn entlanggehen?«
»Den Tyburn«, antwortete Frieda. »Möchtest du das am Wochenende machen?«
»Ich möchte, dass du mir jetzt davon erzählst«, antwortete er. »Wo entspringt er?«
»In Hampstead, am Haverstock Hill. Es gibt dort so eine Art Gedenktafel, die allerdings nicht genau dort steht, wo der Fluss entspringt, weil die exakte Lage der Quelle nämlich gar nicht mehr bekannt ist. Kannst du dir das vorstellen? Wie kann der Ursprung eines Flusses in Vergessenheit geraten? Man hat eine Quelle, wo klares Wasser aus dem Boden sprudelt und von dort
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