Eisiger Dienstag: Thriller - Ein neuer Fall für Frieda Klein 2 (German Edition)
war, kommt mir das so sinnlos vor. Oder ich bin einfach nicht gut in meinem Job. Ich versuche ja zuzuhören, aber plötzlich ertappe ich mich dabei, wie ich überlege, was ich zu Mittag essen möchte oder welchen Film ich mir im Kino ansehen soll. Die Lebensgeschichten der Leute sind meistens so langweilig .«
Frieda musterte ihn aufmerksam. »Wie sieht es denn mit deinem Leben aus?«
»Ich kann dir genau sagen, was richtig gut war: letztes Jahr, die Zeit mit Alan und Dean, als wir beide in die ganze Geschichte involviert waren, wenn auch nur am Rand. Damals kam mir meine Arbeit wichtig vor, und es gab auch eine Art Abschluss – wie wenn ein Schlüssel in ein Schloss passt und die Tür aufschwingt. Jetzt sitze ich die meiste Zeit bloß mit meinen Patienten in einem Raum, und wir reden irgendwelches Zeug.«
»Zeug«, wiederholte Frieda. »Mehr ist es für dich nicht?«
»Weißt du, was ich glaube, Frieda? Ich glaube, ich mache es nur noch deinetwegen. Weil ich so sein möchte wie du. Weil es mir in deiner Gegenwart vorkommt, als würde das alles einen Sinn ergeben. Die meiste Zeit aber erscheint mir das, was wir tun, wie ein einziger großer Betrug – eine Art Streich, den wir diesen Leuten spielen, die sich so heldenhaft fühlen, weil sie leiden, und über nichts anderes reden wollen.«
»Du klingst vorwurfsvoll, fast als wolltest zu sagen: ›Und was ist mit mir?‹«
»Sie drücken mir ihr ganzes schreckliches Chaos in die Hand, und ich bringe es irgendwie in Form. In welche Form, spielt im Grunde keine Rolle. Am liebsten würde ich den Leuten sagen, sie sollen doch mal über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen und einen Blick auf die wahre Welt werfen. Da draußen gibt es eine Menge echtes Leid: Vergewaltigung, Mord und Totschlag, oder einfach nur schlichte, zermürbende Armut.«
Frieda berührte ihn an der Schulter. Sie waren aus der Deptford Church Street abgebogen und standen nun vor einer kleinen, von der Straße etwas zurückgesetzten Kirche mit einem alt aussehenden Turm. Auf dem einen Torpfosten prangte ein Totenschädel mit überkreuzten Knochen, und auf der rechten Seite war ein Leichenhaus zu sehen.
»St. Nicholas war der Schutzheilige der Seeleute«, erklärte Frieda, während sie durch das Tor auf einen kleinen Friedhof traten. »Was bei einer Kirche am Hafen ja kaum überrascht.«
»Ich war seit der Beerdigung meiner Großmutter in keiner Kirche mehr«, bemerkte Jack.
»Diese hier lag früher auf dem Land, umgeben von Obstgärten, Gärtnereien und einer Menge kleiner Boote, die die Leute an den Kais vertäuten. Die Pilger, die unterwegs nach Canterbury waren, kamen alle hier durch. In einem Haus ganz in der Nähe wurde Christopher Marlowe bei einer Schlägerei getötet. Sie haben seinen Leichnam hierhergebracht.«
»Welches ist sein Grab?«
»Es ist anonym. Er könnte überall liegen.«
Schaudernd begann Jack mit den Füßen zu stampfen, während er den Blick über die Wohnblöcke schweifen ließ, die nun die Kirche umgaben. »Seitdem ist die Gegend ziemlich heruntergekommen.«
»Das wird sich wieder ändern.«
Sie wanderten zu der Straße zurück, die den Fluss entlangführte. Drüben am anderen Ufer lagen die hohen Gebäude von Canary Wharf, wo an diesem grauen Februartag zahlreiche Lichter funkelten, doch hier auf ihrer Seite wirkte die Stadt verlassen. Eine kleine Grundschule schien geschlossen zu sein, obwohl Dienstag und Schulzeit war. Als sie an einem Schrottplatz vorbeikamen, konnten sie durch die Eisentore Berge verrostenden Metalls sehen. Über die Mauer, die oben mit Spiralen aus Stacheldraht gesichert war, wucherten Nesseln und anderes Gestrüpp. Es folgte eine Reihe von Gebäuden mit eingeschlagenen Fenstern, die zum Teil mit Brettern vernagelt waren, und dann eine alte Fabrik mit Rissen in den Wänden und einer Umzäunung, auf der die verblasste Warnung »Vorsicht, Wachhunde!« prangte. Jack ging die kleine Straße noch ein Stück weiter entlang und drückte sein Gesicht an ein Metallgitter. Wo vorher ein Gebäude gestanden hatte, klaffte nun eine tiefe, schlammige Grube, und dahinter ragte die Fassade eines Lagerhauses auf, durch dessen baufällige Bogenfenster er jenseits des trüben Flusses die schimmernden Wolkenkratzer der Docklands erkennen konnte.
»Bereit für die Sanierung.« Frieda deutete auf das Betreten-verboten-Schild.
»Mir wäre es lieber, es würde bleiben, wie es ist.«
Sie wanderten weiter den Fluss entlang, vorbei an einem verrottenden Holzpier.
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