Eisiges Blut
Zucker. Seine Methoden, die er vornehmlich in Österreich entwickelt hatte, wo er unter dem Erzherzog gedient hatte, waren bis zur britischen und angeblich auch der amerikanischen Kavallerie vorgedrungen. Es war eine Frage der Ehre gewesen, ihn wieder in Englands Dienste zu nehmen. Inzwischen gehörte er dem 15 . Husarenregiment an und reiste wie alle anderen zum Schwarzen Meer.
»Ich habe den Mann selbst gesehen«, bemerkte Hatch, als er seinem eigenen Streitross, Abdullah, eine Handvoll Gerste entgegenstreckte. Die Flotte war ohne ausreichende Vorräte in See gestochen, und so auch ohne genügend Futter für die Tiere, die zusätzlich zu den anderen Qualen auch noch Hunger leiden mussten. »Das war’s«, sagte Hatch zu dem Pferd, als es seine Hand ableckte und verzweifelt nach mehr Futter suchte. Er streichelte seine Mähne. »Vor morgen gibt es nichts mehr.«
»Und war er der beste Reiter, den Sie je gesehen haben?«,
fragte Sinclair. »Ich habe gehört, dass niemand Nolan das Wasser reichen kann.«
Lächelnd erwiderte Sergeant Hatch: »Er war nur als Kundschafter mit Lord Raglans Adjutanten unterwegs, so dass man das nur schwer beurteilen konnte.«
Sinclair fand, wie es ihm oft mit Hatch erging, dass er sich wie ein kleiner Junge anhörte.
»Aber ja, er ging sehr unbefangen mit seinem Pferd um. Er gebrauchte kaum seine Hände oder Füße, trotzdem wusste das Tier immer, was er wollte.«
Abdullah streckte seinen schlanken Hals aus und stupste Hatch kräftig an die Schulter. Der Sergeant trat einen Schritt zurück. »Vielleicht sollten wir nach oben gehen«, schlug er, ganz entgegen seiner Gewohnheit, vor. »Wenn wir hier unten bleiben, wird der Ärmste versuchen, meine Epauletten zu fressen.« Er sagte es, als machte er einen Scherz, aber sie wussten beide, dass es keiner war.
Als sie an Deck kletterten, mussten sie über eine Reihe toter Soldaten steigen, die dem Fieber erlegen waren. Die kleine Krankenstation war schon längst überfüllt. Sie hörten ein Platschen, und eine weitere, in Segeltuch gehüllte Leiche war über Bord gegangen. Als die ersten Verluste dieses Feldzugs dem Meer übergeben wurden, hatten ein paar Mitglieder der Militärkapelle noch den Trauermarsch von Händel gespielt. Doch als die Anzahl der Toten anwuchs und die Seebestattungen zu einem gewöhnlichen Ereignis wurden, hatten die Offiziere diese Praxis ausgesetzt. Einmal hatte Sinclair den Kapitän des Schiffes zu einem Adjutanten sagen hören: »Die Moral ist bereits schlecht genug, und ich werde verrückt, wenn ich dieses verdammte Stück noch einmal höre.«
Hatch und Sinclair fanden ein kleines Fleckchen an Deck, wo sie sich, mit den Rücken gegen den Mast gelehnt, niederlassen konnten. Während Hatch seine Pfeife mit dem süßen Tabak füllte, an den er sich in Indien gewöhnt hatte, schlenderte Winslow
vorbei und warf Sinclair einen merkwürdigen Blick zu. Sinclair starrte zurück.
Hatch bemerkte den Blickwechsel und sagte: »Sie tun sich selbst keinen Gefallen, Lieutenant, wenn Sie mit Leuten wie mir verkehren.«
»Ich verkehre mit wem ich will.«
Hatch entzündete seine Pfeife. »Die Männer wollen nicht daran erinnert werden.«
»Woran erinnert?«
»Dass sie noch kein Blut gesehen haben.« Paffend zog er an seiner Pfeife, und das fremde Aroma des Krauts hing in der Luft. »Und, so vermute ich, an Chillianwallah.«
Selbst Sinclair hatte nicht gewusst, dass Sergeant Hatch an jener Schlacht teilgenommen hatte, einer der größten Katastrophen für die britische Kavallerie. Den Berichten zufolge, die damals kursierten, war eine Brigade der leichten Kavallerie am Fuß des Himalaya gegen eine mächtige Sikharmee vorgerückt, ohne Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen und das Terrain durch Späher auskundschaften zu lassen. Plötzlich sahen sich die Briten einer respekteinflößenden Truppe feindlicher Reiter gegenüber. Die Schwadronen in der Mitte der Frontlinie hatten sich entweder gesträubt, weiter vorzurücken, oder den Befehl zum Rückzug erhalten. Es ließ sich nie aufklären, was genau geschehen war, doch als Ergebnis hatten sie einen Schwenk gemacht, nur um mit den nachrückenden Reihen zu kollidieren. Die Sikhs, die dafür bekannt waren, dass sie kein Pardon kannten, zückten ihre rasiermesserscharfen Krummdolche und griffen an. In dem allgemeinen Durcheinander, das die britischen Truppen erfasste, gaben zwei britische Regimenter und ihre bengalischen Verbündeten Fersengeld und überrannten auf ihrer Flucht die
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