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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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keinen Job für Schwächlinge, Weicheier oder Weibchen, sie wollten etwas, das körperliche Ausdauer und Mut erforderte. Wer Glaziologe werden wollte, verbrachte nicht viel Zeit am Strand von Mexiko.
    Und sie hatten bekommen, was sie sich gewünscht hatten.
    In Point Adélie führten sie ein spartanisches Leben in einer großartigen Landschaft und holten mit dem Bohrer Proben aus dem Eis, die bei minus dreißig Grad unter der Erde aufbewahrt wurden. Wenn sich das stark komprimierte Eis lockern sollte, wurde es in das Eiskernlager gelegt. Später wurde es dann auf Isotope und Gase hin untersucht, die Aufschluss über die Veränderungen der Erdatmosphäre innerhalb großer Zeiträume geben
konnten. Ganz nebenbei waren die beiden Frauen auch noch geschickte Eisbildhauerinnen geworden – die Besten auf diesem Gebiet, wie sie manchmal fanden. Betty zog Tina manchmal damit auf, dass sie, falls es mit der Glaziologie nicht klappte, sie sich ihren Lebensunterhalt damit verdienen konnten, Eisskulpturen für Hochzeiten und Bar-Mizwas zu produzieren.
    Mit Michaels Fund hatten sie alle Hände voll zu tun. Der massive Eisblock, den Michael und Lawson aus dem Unterwassergletscher gehackt hatten, stand aufrecht mitten zwischen den aufgestapelten zylindrischen Eiskernen und der Holzkiste mit der Aufschrift
Plasma
, in der Ollie, das Raubmöwenküken, wohnte. Als Schutz gegen den Wind diente ein einen Meter achtzig hohes Metallblech rund um das Eislager. Aber das war es auch schon, es gab kein Dach und keinen Boden, nur den grauen Himmel oben und die gefrorene Tundra unten.
    Aus Gewohnheit hatten Betty und Tina weiße Reinraumanzüge über die Parkas gezogen. Eiskerne konnten immer leicht verunreinigt werden, auch wenn sie bei dem Eisblock, der diesmal vor ihnen lag, keine derartigen Rücksichten nehmen mussten. Das Eis war bereits mehrfach kontaminiert worden, durch die Sägen, die es aus dem Gletscher geschnitten hatten, und die Tauchhütte, in die es aus der Tiefe gehievt worden war. Wenn es darum ging, den Fund zu datieren, würde zudem die Leiche in seinem Inneren wesentlich bessere Anhaltspunkte liefern. Obwohl sie noch mehrere Zentimeter Eis wegschneiden mussten, konnte Betty bereits vage die Form und den Stil der Kleidung erkennen, die die Frau trug. Es erinnerte sie an verschiedene Folgen der Serie
Masterpiece Theatre
, die sie als Mädchen im Fernsehen gesehen hatte. Sie meinte sogar eine Brosche aus Elfenbein an der Brust der Frau zu erkennen.
    Während sie mit Handbohrer, Säge und Hacke arbeitete, versuchte sie nicht in die Augen der Frau zu schauen. Es war zu nervenaufreibend.
    Tina arbeitete mit den gleichen Werkzeugen auf der Rückseite des Blocks, und wie immer unterhielten sie sich über etwas völlig anderes, in diesem Fall über die jüngsten Wechsel in der National Football League. Unvermittelt hielt Tina inne und sagte: »Sie hatten recht.«
    »Womit?« Betty hobelte eine weitere Schicht Eis ab.
    »Im Eis ist noch jemand. Jetzt kann ich ihn sehen.« Betty kam zur Rückseite des Blocks und konnte den Mann ebenfalls erkennen. Sein Kopf war gegen den der Frau gepresst, und dieselbe Eisenkette war um seinen Hals geschlungen. Er hatte einen hellen Schnauzbart und schien eine Art Uniform zu tragen. Betty und Tina sahen sich an, und Betty sagte: »Vielleicht sollten wir aufhören.«
    »Warum?«
    »Das ist eine ziemlich große Sache, mit der wir hier unten womöglich gar nicht klarkommen. Vielleicht sollten wir sie hochschicken, in die Labore der NSF in Washington. Oder an die Universität in Idaho.«
    »Wie bitte? Wir sollen uns die Gelegenheit entgehen lassen, Geschichte zu machen?«
     
    Michael, schwer bepackt mit seiner Ausrüstung aus Kameras, Stativ und ein paar Scheinwerfern, hatte keine Hand frei, um gegen das dünne Metallblech zu klopfen, das als Tür zum Eiskernlager diente, und stieß sie einfach mit dem Fuß auf. Er hatte Betty und Tina reden hören, und eine der beiden hatte gerade irgendetwas von Geschichte gesagt. Als Betty zurückwich, sagte er: »Tut mir leid, dass ich nicht gerufen habe.«
    »Schon okay. Etwas Gesellschaft ist uns ganz recht.«
    »
Lebendige
Gesellschaft«, fügte Tina bedeutungsschwer hinzu.
    Doch Michael war so versessen auf seine Aufgabe, dass ihm die Andeutung entging. Er legte seine Ausrüstung auf den Boden und trat als Erstes zu der Kiste in der Ecke des Eislagers, ging in
die Hocke und sah hinein. Ollie hatte sich inzwischen so sehr an ihn gewöhnt, dass er aufstand und auf

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