Eisiges Blut
mir, es sei unwahrscheinlich, dass Miss Nightingale ihnen frei geben würde«, sagte Captain Rutherford, als er die Ellenbogen auf die Reling stützte. Er ahnte, wonach Sinclair suchte.
Sinclair warf seinem Kameraden, dessen Stirn vor Schweiß glänzte, einen Blick zu.
»Ich habe ihr gesagt, dass Miss Nightingale in diesem Fall keine Patriotin sei«, schloss Rutherford, nahm seinen pelzbesetzten Umhang von den Schultern und legte ihn über die Reling.
Sinclair hatte nie ganz verstanden, was den Hauptmann mit Miss Mulcahy verband. Seine eigene Verbindung zu Eleanor Ames war schon ungewöhnlich genug und beinhaltete, wie jeder
Sinclair bestätigt hätte, praktisch kein Versprechen. Rutherfords Anhänglichkeit für die dralle, derbe Krankenschwester Mulcahy war jedoch noch viel seltsamer. Rutherford entstammte einer überaus bedeutenden Familie in Dorset, und er selbst würde eines Tages in den Adelsstand erhoben werden. Seine Familie wäre entsetzt über diese Liaison. Natürlich verstand es sich von selbst, dass die Offiziere der Kavallerie unter den Damen der Stadt freie Auswahl hatten und sich oft genug auf leichtfertige oder gar verderbliche Affären einließen. Aber ebenso selbstverständlich war es auch, dass die jungen Männer irgendwann zur Vernunft kamen, besonders am Vorabend eines bedeutsamen Feldzuges. Es war der perfekte Zeitpunkt und eine ausgezeichnete Möglichkeit, um das Band zu zerschneiden. Das war einer der beachtlichen Vorteile der Armee.
Aber hinter Rutherfords polterndem Auftreten meinte Sinclair einen sentimentalen Zug an ihm entdeckt zu haben. Sein Freund war kein Mann, der sich in den Salons wohlfühlte, zu denen er regelmäßig eingeladen wurde, oder der dem schönen Geschlecht im Allgemeinen sehr zugetan wäre. Einmal hatte Sinclair erlebt, wie er einer jungen Dame, der er soeben vorgestellt worden war, ungeschickt eine Schale Punsch über das Kleid geschüttet hatte. Rutherford bevorzugte das Kasernenleben, die Kameraderie und das Zotenreißen. Und Miss Moira Mulcahy hatte trotz ihrer Herkunft aus der Arbeiterklasse etwas an sich, das ihn anzog. Tatsächlich war es wahrscheinlich gerade ihr Mangel an Raffinesse, der ihn anzog … zusammen, natürlich, mit ihrem üppigen Busen, den sie gern und häufig zeigte. Es schien Sinclair, dass er vielleicht lieber nach einem Flecken cremeweißer Haut in der Menge auf den Docks Ausschau halten sollte, als nach dem neuen gelben Kleid, in dem Eleanor Moira begleiten würde.
Lord Cardigan, Kommandeur der 11 . Husaren, tauchte in vollem Staat auf dem Rücken eines Pferdes auf. Er war von Adjutanten umgeben und bellte Befehle. Der Lord war ein stattlicher,
eitler Mann mit rostrotem Oberlippenbart und Backenbart und saß aufrecht im Sattel. Er war bekannt für seinen aufbrausenden Charakter sowie für eine fanatische Ergebenheit gegenüber dem Protokoll und seinem törichten Ehrenkodex. Tatsächlich hatte er einmal einen Skandal in der Offiziersmesse ausgelöst, dessen Nachwirkungen er noch immer zu spüren bekam. Lord Cardigan hatte darauf bestanden, dass an seinem Tisch ausschließlich Champagner ausgeschenkt wurde, und kein Port in schwarzen Flaschen, an dem viele Soldaten Gefallen fanden, vor allem diejenigen, die in Indien gedient hatten. Der Adjutant eines Generals bat um Moselwein, und dieser wurde in einer schwarzen Flasche auf den Tisch gestellt, anstatt zuvor dekantiert zu werden. Lord Cardigan hielt den Wein für Port, bekam einen Wutanfall und beleidigte einen Hauptmann des Regiments. Bevor die Affäre heruntergespielt werden konnte, hatte ganz London davon gehört und darüber gelacht. Lord Cardigan konnte kein Theater besuchen oder auch nur mit seinen Irischen Wolfshunden durch die Straßen von Brunswick Square gehen, ohne hier und da den hämischen Ruf »Schwarze Flasche!« zu hören. Die Männer unter seinem Kommando nahmen solcherlei Beschimpfungen besonders übel und gerieten oft in Raufhändel, wenn man ihren Kommandanten dergestalt verspottete.
Vorgeblich unterstand das 17 . Lancer-Regiment der Leichten Brigade dem Kommando von Lord Lucan, Cardigans starrsinnigem Schwager, aber Lieutenant Copley hatte den Verdacht, dass sie, die unglückseligen Soldaten, im Grunde nur Bauern in einer erbitterten familiären Rivalität waren.
»Hierher«, rief Rutherford einem vorbeikommenden Marineoffizier zu, »dürfte ich mir das ausleihen?«
Der Seemann, der möglicherweise so verblüfft über die Pracht von Rutherfords Aufmachung war, dass er
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