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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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ihre ermatteten Pferde über die steilen Berge trieben, um seine Befehle zu überbringen. Wenn kein Offizier in der Nähe war, wurde er von der Truppe nur »der edle Segler« genannt.
    »Haben Sie etwas von Frenchie gehört?«, hatte Rutherford gefragt, doch Sinclair schüttelte den Kopf. Seit Wochen schon waren keine Briefe mehr an die Front gelangt, ebenso wenig wie Nachrichten aus den Feldlazaretten. Sinclair hatte das Bein seines Freundes gesehen, nachdem das Pferd daraufgestürzt war, und wusste, dass Frenchie nie mehr derselbe sein würde, selbst wenn er ihn jemals lebend wiedersehen würde.
    Würde irgendjemand von ihnen noch derselbe sein?
    Es war ein wunderschöner Tag, klar und hell. Ajax scharrte mit den Hufen, begierig darauf, sich zu bewegen. Sinclair tätschelte seinen langen, kastanienfarbenen Hals, und zog sanft an der schwarzen Mähne. »Eines Tages, mein Junge, eines Tages … «, sagte er und fand sich damit ab, noch viele Stunden dem Schlachtenlärm irgendwo in der Ferne oder dem entfernten Donnern der russischen Kanonen zu lauschen. Bei diesem Feldzug kam er sich meistens vor wie jemand, der draußen vor dem Theater warten musste, den Tumult und die Schreie hörte, aber nicht hineinkam. Er dachte an Eleanor und ob es ihr wohl gut ging. Würden seine Briefe sie jemals in London erreichen?
    Rutherford grunzte und deutete mit dem Kinn auf eine Bewegung zu Sinclairs Rechten. Ein Adjutant hatte gerade den Kommandanten verlassen und ritt Hals über Kopf den fast senkrechten Abhang hinunter. Es gab keinen richtigen Pfad, und das Pferd verlor mehrmals fast den Halt, aber der Reiter gewann stets in letzter Sekunde die Kontrolle zurück und behielt sein wahnsinniges Tempo bei.
    »Ich kenne nur einen Mann, der so reiten kann«, bemerkte Sergeant Hatch vom Rücken seines Pferdes.
    »Und wer soll das sein?«, wollte Rutherford wissen.
    »Captain Nolan natürlich«, warf Sinclair ein. Derselbe Captain Nolan, dessen Reitmethoden gerade den Kontinent eroberten.
    Der Reiter kam rasch voran, und die Hufe seines Pferdes wirbelten Steine, Kies und Staub hinter ihm auf. Sobald er die Ebene
erreicht hatte, gab er dem Tier die Sporen und wurde noch schneller. Lord Lucan trottete mit seinem weißgefiederten Hut der näherkommenden Gestalt entgegen und zügelte sein Pferd keine zehn Meter von Sinclair entfernt zwischen den dichten Reihen der Leichten und Schweren Brigade, die er befehligte.
    Die Flanken des Pferdes waren schweißüberströmt, als Nolan in vollem Galopp herankam, ein Communiqué aus der Degentasche zog und es Lord Lucan in die Hand klatschte. Sinclair wusste nur zu gut, wie wenig Respekt Nolan, wie übrigens der Großteil der Kavallerie, Lord Lucan entgegenbrachte. Gleichwohl überraschte ihn die herrische Art, mit der er die Botschaft aushändigte. Lucan war bekannt für seinen Jähzorn, und solch ein Fehlverhalten konnte leicht einen Arrest wegen Aufsässigkeit nach sich ziehen.
    Mit finsterem Gesicht las Lucan die Befehle und blickte anschließend zu Nolan auf, dessen Pferd immer noch unruhig herumtänzelte und der ihn auf irgendeine Weise herauszufordern schien. Sinclair konnte nicht alles verstehen, aber er hörte etwas wie: »Was soll ich angreifen? Welche Kanonen, Sir?«
    Sinclair tauschte einen Blick mit Rutherford. Wollte Lord Lucan, oder »Lord Lahmarsch«, wie er von den zur Untätigkeit gezwungenen Truppen genannt wurde, seine Männer wieder einmal davon abhalten, an der Schlacht teilzunehmen?
    Mit drängender Stimme schien Nolan etwas zu wiederholen. Die dunklen Locken wehten ihm um den Kopf, und er deutete auf das Papier in Lord Lucans Hand. Dann wies er mit ausgestrecktem Arm auf die russischen Bataillone am anderen Ende der Nordschlucht und rief mit lauter Stimme, so dass selbst Sinclair ihn deutlich hören konnte: »Dort, Mylord, ist Ihr Feind! Dort finden Sie Ihre Kanonen!«
    Sinclair erwartete, dass Lord Lucan angesichts dieser erneuten Unverschämtheit in Rage geraten und befehlen würde, Captain Nolan auf der Stelle unter Arrest zu nehmen, doch nichts dergleichen
geschah. Stattdessen zuckte er nur mit den Schultern, ließ sein Pferd kehrt machen und trottete davon, um sich mit seinem Erzfeind Lord Cardigan zu beraten. Was immer in jenem Communiqué stand, es war hinreichend wichtig, dass er nicht den Wunsch verspürte, es zu ignorieren oder im Alleingang aktiv zu werden.
    Nach mehreren Minuten intensiver Beratung salutierte Lord Cardigan, nicht einmal, sondern zweimal, und galoppierte

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