Eisiges Blut
Adern. Reiter, die ihm vorangestürmt waren, lagen verstreut und in Stücke gerissen am Boden, ihre Pferde versuchten, auf zerschmetterte oder fehlende Beine zu kommen. Ajax sprang über einen Standartenträger, der über seinem kopflosen Reittier lag, und galoppierte, voller Vertrauen in seinen Herrn, mutig in das Getümmel hinein. Der Boden schien unter ihm entlangzufliegen, während Sinclair
sich bemühte, die Lanze vorschriftsmäßig gerade zu halten. Weniger als fünfzig Meter vor ihm erspähte er die grauen Uniformen und schmalrandigen Mützen der russischen Kanoniere, die verzweifelt ein weiteres Mal die Kanone stopften. Er galoppierte direkt auf das Rohr zu, als sie die Kugel gerade hineinstopften, konnte jedoch nicht ausweichen. Sergeant Hatch war dicht neben ihm, und Rutherfords Pferd, brüllend vor Furcht, begleitete ihn auf der anderen Seite. Die leeren Steigbügel klirrten, doch vom Reiter fehlte jede Spur. Sinclair blieb nichts anderes übrig, als über die Kanone zu springen, ehe sie abgefeuert wurde. Er hörte die Russen schreien, sah, wie eine zischende orangerote Fackel an die Lunte gehalten wurde, und hielt mit gesenktem Kopf und ausgestreckter Lanze direkt auf den Mann mit der Fackel zu. Ajax sprang im selben Augenblick, in dem die Kanone losging, und das Letzte, an das Sinclair sich erinnerte, war das Gefühl, blind durch ein brennend heißes Gemisch aus Blut und Rauch, Eingeweiden und Schießpulver zu fliegen. Dann spürte er nichts mehr.
35 . Kapitel 16 .Dezember, 11 : 45 Uhr
Zwischendurch hatte Charlotte gedacht, dass sie es letzten Endes doch ganz gut getroffen hatte. Zugegeben, das Wetter war scheußlich und manchmal überkam sie der Lagerkoller, doch wirkliche medizinische Krisen hatte es bislang nicht gegeben. Doch dann war die Hölle losgebrochen.
Zuerst wurde Danzig von seinem eigenen Husky angegriffen und getötet, und jetzt versuchte Murphy ihr auch noch weiszumachen, dass der verstümmelte Leichnam, der vor ihr auf dem Boden des botanischen Labors lag, das Werk des toten Danzigs sei.
»Das ist nicht möglich!«, sagte sie zum hundertsten Mal. »Ich habe Danzig persönlich für tot erklärt. Ich habe eigenhändig die Wunde an seiner Kehle genäht und ihn zwei-, nein dreimal mit dem Defibrillator traktiert. Ich habe ihn sterben sehen.« Sie kniete sich hin und legte eine Hand an die Seite von Ackerleys kaltem Hals. »Und ich habe gesehen, wie er in den Leichensack gepackt und dieser verschlossen wurde.«
»Trotzdem, irgendwie ist er da wieder rausgekommen«, beharrte Murphy. »Das ist alles, was ich dir dazu sagen kann. Wilde und Lawson schwören beide Stein und Bein, dass sie Danzig gesehen haben.«
Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie gefragt, ob die beiden zu der Zeit betrunken oder von irgendwelchen noch stärkeren
Drogen high waren. Aber sie kannte Michael, und sie kannte Lawson, und sie wusste, dass sie sich niemals etwas so Scheußliches ausdenken würden. Und diese Geschichte könnte in der Tat scheußlicher nicht sein. Ackerleys Kehle und Schultern waren bestialisch zerfetzt, und das herausspritzende Blut hatte sein Hemd und die Hose durchtränkt. Merkwürdigerweise war seine Brille während des Angriffs nicht heruntergefallen, aber die Gläser waren blutbespritzt. Wer immer, oder was immer, dafür verantwortlich war, es war um einiges entsetzlicher als irgendetwas, das sie in den übelsten Nächten in der Notaufnahme in Chicago erlebt hatte.
»Ich weiß, dass du ihn noch gründlich untersuchen musst«, sagte Murphy und schritt nervös hinter ihr auf und ab, »aber nach dem, was mit Danzig passiert ist, will ich kein Risiko eingehen.« Ihr war bereits die verräterische Ausbuchtung einer Waffe samt Holster unter seiner Jacke aufgefallen.
»Das heißt?«
»Ich werde es dir zeigen.«
Es bedeutete, dass sie den Leichnam verpackten und dann zu zweit auf einen kleinen Schlitten hoben. Anschließend schoben sie ihn so unauffällig wie möglich an der Hinterseite der Gebäude entlang zu einem entlegenen Lagerschuppen. Das alte Fleischlager entpuppte sich als ein höhlenartiger, baufälliger Schuppen, in dem Kästen mit Cola und Bier sowie weitere Küchenvorräte aufbewahrt wurden. Murphy ging ganz bis zum Ende durch und fegte mit einer Handbewegung ein paar Dosen und Utensilien von einer langen, knapp einen Meter hohen Holzkiste. Ein dickes Metallrohr mit abblätternder roter Farbe lief direkt darüber an der Wand entlang.
»Lass ihn uns hier rauflegen«, sagte
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