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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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zum nächsten verlegt. Stets hielt man sie zurück, damit sie nicht zu schnell aufgerieben würden. Wie viele seiner Kameraden hatte Sinclair das Gefühl, von den anderen Truppenteilen verachtet zu werden. Die schicken Reiter mit ihren Federn und fellgefütterten Mänteln, den goldenen Tressen und hellen, kirschroten Hosen fraßen hartgekochte Eier und Biskuit, während ihre Landsmänner die Drecksarbeit erledigten und die feindlichen Schanzen stürmten. Einmal mussten sie in einem kritischen Augenblick die russische Kavallerie in völliger Unordnung entkommen lassen, anstatt ihr nachsetzen und sie vernichten zu dürfen. Sergeant Hatch, kaum von seinem Malariaanfall genesen, hatte angewidert seine Pfeife zerbrochen und in den Dreck geschleudert.
    »Warten die auf eine vergoldete Einladung?«, schnaubte er, während er sein ungeduldiges Pferd zügelte und einen finsteren Blick auf die Anhöhe warf, auf der, umgeben von Adjutanten, der Oberbefehlshaber, der ältere, einarmige Lord Raglan, mit seinem Fernrohr stand. »Sie werden keine bessere bekommen als diese.«
    Selbst Captain Rutherford, bekannt für seine unerschütterliche Natur wie für seine buschigen Koteletten, schien ungeduldig. Nachdem er einen langen Schluck aus seiner Flasche, gefüllt mit einer Mischung aus Rum und Wasser, genommen hatte, beugte er sich im Sattel vor und bot Sinclair daraus an. »Das kann wieder ein langer Tag werden«, sagte er.
    Sinclair hatte die Flasche genommen und ebenfalls einen tiefen Schluck getan. Seit das 17 . Lancer-Regiment in See gestochen war, war der Krieg nichts als eine ungeheure, kostspielige Enttäuschung gewesen. Angefangen mit der brutalen Reise über tosende Meere, die unzählige Pferde getötet hatte, gefolgt von endlosen Märschen durch enge Schluchten und leere Ebenen. Die ganze Zeit über hatten sie ihre Leichen einfach liegen gelassen, als Futter für die Aasgeier und Würmer. Und für jene merkwürdigen, trippelnden Kreaturen, von denen sie nur nachts einen Blick erhaschten, wenn sie hinter den Pfosten der Stellungen hervorlugten. Sinclair hatte einen der türkischen Späher gefragt, was das für Tiere seien, und nachdem dieser abergläubisch über die linke Schulter gespuckt hatte, murmelte er: »Kara-kondjiolos.«
    »Was bedeutet das?«
    »Blutsauger«, erwiderte der Mann angeekelt. »Sie beißen die Toten.«
    »Wie Schakale?«
    »Schlimmer«, sagte der Späher und suchte nach dem richtigen Wort. »Wie … Verfluchte.«
    Nie war von diesen Wesen mehr zu sehen als eine vorbeihuschende Gestalt, die stets im Schatten oder nah am Boden blieb. Doch wann immer die Männer eine der Kreaturen erblickten,
bekreuzigten sich die katholischen Rekruten und jeder, gleich welchen Glaubens, rückte näher an das Lagerfeuer heran.
    Das Land, durch das er reiste, war weit von seinem Zuhause entfernt. Vielleicht weil er seitdem nichts so Bewegendes gesehen hatte, erinnerte er sich noch gut an die Fahnen und Wimpel, die Blaskapellen und flatternden Taschentücher am Kai, als die Armee in England eingeschifft worden war. Sogar die Stadt Balaklawa, zuvor ein idyllischer kleiner Badeort, hatte sich völlig verändert. Bevor die britischen Truppen gelandet waren, war der Ort einer der bevorzugten Erholungsorte für die Bewohner Sewastopols gewesen. Die hübschen kleinen Villen waren berühmt für ihre Dächer mit grünen Schindeln und die ordentlich angelegten Gärten. In den Reiseberichten hieß es, jedes Häuschen und jeder Zaunpfosten sei mit Rosen, Klematis und Geißblatt geschmückt, und von den Weinstöcken hingen in großen Reben hellgrüne, erntereife Muskatellertrauben herab. Obstgärten bedeckten die Hänge, und das klare Wasser in der Bucht glitzerte wie Kristall.
    Doch dann war die
Agamemnon
, das gewaltigste Kriegsschiff der britischen Flotte, in den Hafen gedampft, und die Armee, die allein an diesem Landepunkt fünfundzwanzigtausend Mann zählte, hatte die Stadt zu ihrer Operationsbasis gemacht. Sie fielen in die Villen ein, wühlten die Gärten auf, bis es Schlammplätze waren, und trampelten den Wein nieder. Viele der Soldaten litten und starben an der Ruhr, und aus dem winzigen Binnenhafen wurde rasch eine riesige und stinkende Latrine voll Müll und Unrat. Lord Cardigan war kein Dummkopf und hatte sich entschieden, mehrere Meilen entfernt auf seiner Privatjacht, der
Dryad
, zu bleiben. Dort ließ er sich die Mahlzeiten von seinem französischen Koch zubereiten, während eine Schar von Ordonnanzen und Adjutanten

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