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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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Jahrzehnte? Oder noch länger? Alles an ihr, von der Kleidung bis zu ihrem Verhalten, legte den Schluss nahe, dass sie aus einer völlig anderen Epoche stammte.
    Wie sollte er sich jemals an diese Vorstellung gewöhnen?
    Schließlich brach Eleanor das Schweigen, indem sie fragte: »Und was machen die Menschen hier, in diesem Lager?«
    »Sie erforschen die Flora, die Fauna, den Klimawandel.« Globale Erwärmung? Das konnte warten. Irgendetwas sagte ihm, dass sie in ihrem Leben schon genug schlechte Nachrichten gehört hatte. »Ich selbst bin Fotograf.« Ergab das einen Sinn für sie? »Ich mache so etwas wie Daguerreotypien. Und ich schreibe, für ein Magazin. Ich lebe in Tacoma, das ist eine Stadt im Nordwesten der Vereinigten Staaten. In der Nähe von Seattle. Die Leute aus Seattle machen gerne Witze darüber.«
    Er kam sich vor wie ein Schwätzer. Doch solange er redete, aß sie, und das machte ihn glücklich. Sie schaufelte das Essen nicht gerade in sich hinein, sondern vollführte die Bewegungen … als versuchte sie, sich an das Essen als Fertigkeit zu erinnern.
    »Und die Negerin? Ist sie wirklich Ärztin?«, sagte sie mit einem ungläubigen Unterton.
    Okay, dachte Michael, woher und aus welcher Zeit Eleanor auch stammte, sie würde auf jeden Fall noch eine Menge lernen müssen. »Ja. Dr.Barnes, Charlotte Barnes, ist eine sehr angesehene Ärztin.«
    »Miss Nightingale glaubt, dass Frauen keine Ärzte sein sollten.«
    »Welche Miss Nightingale?«
    »Miss Florence Nightingale natürlich.« Sie sagte es, als würde sie gleich ihre Visitenkarte zücken, die sie auf irgendeine Weise legitimieren würde.
    Michael wollte lachen. Mit jeder Minute wurde es merkwürdiger. Er fragte sich, ob sie das auch Charlotte gegenüber erwähnt hatte.
    »Sie ist sehr darauf bedacht, unsere Arbeit als Krankenschwestern zu verteidigen, aber sie glaubt auch, ebenso wie ich selbst, dass beiden Geschlechtern verschiedene Rollen zugewiesen sind.«
    Sie würde noch eine
ganze
Menge lernen müssen.
    Michael ließ sie an ihrem Essen knabbern, während sie, wenn auch zögernd und mit Unterbrechungen, über andere Dinge sprachen. Sie unterhielten sich über das Wetter, den stärker werdenden Sturm und die Arbeit, die auf dieser Station geleistet wurde. Von Zeit zu Zeit musste er innerlich den Kopf schütteln, um sich ins Gedächtnis zu rufen, dass er mit einer Frau sprach, die behauptete, irgendwann im neunzehnten Jahrhundert geboren worden zu sein. Er hatte keinen Beweis, um sie widerlegen zu können, und außerdem war sie eindeutig ertrunken gewesen. Schließlich hatte er sie selbst aus dem unterseeischen Gletscher heraufgeholt. Er würde sie gerne direkt zu all dem befragen, aber sie hatten sich gerade erst kennengelernt, und es war nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. Selbst für einen Journalisten, der geübt darin war, hartnäckige Fragen zu stellen.
    Und er fürchtete sich vor ihrer Reaktion. Vielleicht würde es einen Zusammenbruch bei ihr auslösen.
    Eleanor nippte an ihrem Kakao.
    »Wir dachten, dass Sie fürs Erste hier in der Krankenstation bleiben können«, sagte Michael. »Hier sind Sie vollkommen ungestört, und Dr.Barnes ist gleich nebenan, falls Sie sie brauchen.«
    »Das ist überaus aufmerksam von Ihnen«, erwiderte sie, tupfte sich die Lippen mit einer Papierserviette ab und betrachtete dann neugierig das Blumenmuster am Rand der Serviette.
    »Wir könnten vielleicht auch frische Kleidung für Sie besorgen«, sagte er, »aber ich weiß nicht, ob sie Ihnen so gut passen wird.« Eleanor war schlank und zart, und alles, was er von Betty, Tina oder Charlotte ausliehe, würde an ihr wie ein Zelt aussehen.
    »Was ich anhabe, wird völlig ausreichen«, sagte sie, »obwohl ich das Kleid gerne waschen würde. Und«, sagte sie errötend, »könnte ich vielleicht auch ein Bad nehmen?«
    Angesichts ihrer Verlegenheit fühlte Michael sich in seiner Entscheidung bestätigt, Eleanor heimlich und in ihren Mantel gewickelt auf die Krankenstation zu bringen. Nicht allein um ihrer Gesundheit und Sicherheit willen, sondern auch, weil die anderen Hiwis und Beakers sie ausgiebig unter die Lupe nehmen würden, sobald sie Wind von ihr bekämen. Sie würde der Star der Antarktis werden und ihr Leben fortan mit keinem anderen zu vergleichen. Sobald das Versorgungsflugzeug sie von hier fort und zurück in die Welt brächte, zu den Talkshows der NBC und dem
Peoples Magazine
, wo sie von Larry King und Barbara Walters interviewt werden würde,

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