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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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schartige Narbe in einem glatten weißen Gesicht durch die flache Ebene schlängelte. Das war alles.
    Kaum war er wieder unterwegs, schlug das Wetter noch schneller um. Der Wind warf den Schlitten hin und her, und oft mussten die Hunde direkt gegen ihn ankämpfen. Sinclair war froh, dass er über seiner Uniform den neuen roten Mantel mit dem weißen Kreuz auf dem Rücken und den Ärmeln trug, den er aus dem Schuppen entwendet hatte, froh, dass er sich hinter
die Ladefläche kauern konnte, die ihm ein wenig Schutz vor dem Wind bot. Seine Knie schmerzten von der hockenden Stellung, doch wenn er aufstand, riskierte er, vom Schlitten geweht zu werden. Er machte sich Sorgen um Eleanor und in welcher Verfassung er sie vorfinden würde. Es war ihm nicht leicht gefallen, sie in der Sakristei einzuschließen, aber er fürchtete, dass sie sonst vielleicht etwas Unüberlegtes getan hätte. Er konnte nicht sicher sein, ob sie noch bei Verstand war oder ihn nicht vielleicht vorübergehend verloren hatte.
    Aus Erfahrung wusste er, dass das Fieber kommen und gehen konnte, wie die Malariaanfälle, unter denen Sergeant Hatch gelitten hatte, aber er wusste auch, dass die entsetzliche Gier niemals schwinden würde. Sie war immer da. Manchmal glich sie einem unterirdischen Strom, und dann wieder brach sie fordernd hervor und verlangte Befriedigung. Er fragte sich, wie Eleanor, die selbst in den besten Zeiten gertenschlank war, und so jung, diesen unerbittlichen Drang auf Dauer überleben sollte. Ihrer beider Gebrechen war ihre Rettung, denn dadurch wurden sie vor unzähligen tödlichen Krankheiten bewahrt, und zugleich ihr Fluch, der sie bis in alle Ewigkeit in seinen dunklen Klauen gefangen hielt. Befreier und Gefängniswärter zugleich. Es gab Zeiten, da zweifelte er an Eleanors Willen und sogar an ihrem Wunsch, unter solchen Umständen weiterzuleben. Doch die Macht seines eigenen Willens, das fühlte er ganz sicher, war stark genug für sie beide. Ob sie wollte oder nicht, sie brauchte, was er ihr jetzt brachte, und vor allem brauchte sie
ihn
. Er schrie den Hunden etwas zu, um sie anzutreiben, doch der Wind schien seine Worte einzufangen und sie zurück an seine klappernden Zähne zu schleudern.

38 . Kapitel 16 .Dezember, 20 : 15 Uhr
    Als Michael die Krankenstation verließ, schwirrte ihm der Kopf. Es war alles zu unglaublich, erstaunlich, unmöglich. Hatte er tatsächlich gerade mit einer Frau gesprochen, die mehr als hundert Jahre vor seiner Geburt im Eis eingefroren worden war?
    Er sagte sich, dass er sich beruhigen musste. Die Dinge logisch betrachten. Einen Schritt nach dem anderen machen. In diesem Moment führten ihn seine Schritte, während er sich an den Führungsseilen zwischen den Gebäuden festhielt, am glaziologischen Labor vorbei. Er wusste, dass Danzig irgendwo da draußen war, aber er wollte sich vergewissern, dass er sich nicht in der Höhle versteckte, in der sie seinen Leichnam untergebracht hatten. Murphy hatte den Keller bestimmt schon überprüft, aber Michael musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen. Zumindest diesen Punkt könnte er dann zweifelsfrei abhaken, und wenn es etwas gab, das er im Moment brauchte, dann war es Gewissheit. Egal, über was.
    Die Realität drohte, sich aus ihrer Verankerung zu lösen, und Michael war entschlossener als je zuvor, sie fest am Kai zu vertäuen.
    Zu seiner Erleichterung waren Betty und Tina nirgendwo zu sehen. Vorsichtig stieg er die vereisten Stufen zu dem Keller hinunter, in dem Danzigs Leichnam gelegen hatte. Der Leichensack aus Plastik war auseinandergerissen worden und lag zerfetzt auf
der gefrorenen Platte. Der Anblick erinnerte ihn unvermeidlich an eine schreckliche Version der Wiederauferstehung. Wie Jesus sich aus seinem Grab erhoben und nur das Grabtuch zurückgelassen hatte.
    Kaum war er die Treppe wieder hinaufgeklettert, erwartete ihn die nächste schlechte Nachricht. Als er vor der Holzkiste stehen blieb, um nach Ollie zu sehen, fand er sie leer. Die Holzwolle im hinteren Teil war immer noch wie ein Nest geformt, doch außer ein oder zwei Federn war keine Spur von dem Vogel zu sehen. Er holte etwas Maisgrütze aus der Tasche, die er eingesteckt hatte, als er das Essen für Eleanor geholt hatte, und legte sie in die Kiste, für den Fall, dass der Vogel zurückkehrte. Es war nur eine Raubmöwe, und die galten in der Antarktis als Gesindel. Trotzdem würde er den kleinen Kerl vermissen.
    Mit gesenktem Kopf ging er weiter, vorbei am Gemeinschaftsraum, aus

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