Eisiges Blut
Geräusch draußen vor der Tür. Murphy hatte bestimmt, dass die Schlafräume ab jetzt immer abgeschlossen werden mussten, und Michael wartete darauf, dass Darryl den Schlüssel ins Schloss steckte. Doch stattdessen sah er, wie sich der Türknauf drehte. Nur ein bisschen, soweit das Schloss es zuließ.
Unter der Tür konnte er einen Schatten erkennen. Jemand atmete schwer. Seine Nackenhaare richteten sich auf, und langsam erhob er sich und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Er hielt den Türknauf fest, gerade, als erneut daran gedreht wurde. Er
hielt ihn fest und presste ein Ohr an die Tür. Sie bestand nur aus dünnem Sperrholz, und nie in seinem Leben hatte er sich stärker nach einer Tür aus massiver Eiche gesehnt. Ein kleiner Bach aus Eiswasser lief unter der Tür durch und berührte seine Zehen.
Wieder wurde am Türgriff gedreht, diesmal in die andere Richtung, aber er gab immer noch nicht nach. Michael versuchte, nicht zu atmen.
Er hörte, wie jemand kräftig ausatmete, und das Geräusch von raschelnder, reifbedeckter Kleidung. Michael presste das Ohr noch dichter an die Tür und lehnte zusätzlich die Schulter dagegen.
»Gib … «, murmelte die Stimme, » … es … zurück.«
Michael gefror das Blut in den Adern. Er wartete, bereit, alles zu tun, um die Tür zu blockieren, als er vom Ende des Gebäudes, in dem die Badezimmer lagen, Gelächter hörte. Ein Handtuch wurde ausgeschlagen.
»Werd endlich erwachsen!«, rief jemand.
Abrupt hörte das Rütteln am Türknauf auf, und der Schatten unter der Tür verschwand. Es gab ein schmatzendes Geräusch, als würde jemand mit nassen Stiefeln über einen trockenen Teppich eilen. Ein paar Sekunden, nachdem die Außentür am anderen Ende des Gebäudes zugeschlagen war, wurde erneut am Türknauf gedreht. Michael hielt ihn immer noch fest und hörte Darryl murmeln: »Dieser verdammte Schlüssel … «
Michael ließ los und der Knauf drehte sich. Darryl kam herein, in Bademantel und Flip-Flops, mit einem Handtuch um den Hals. Erstaunt starrte er Michael an, der direkt hinter der Tür stand.
»Hast du einen neuen Job als Türsteher?«
Michael schob sich an ihm vorbei und steckte den Kopf in den Korridor. »Hast du irgendjemanden hier draußen gesehen?«
»Was?«, sagte Darryl und rubbelte sich energisch den Kopf ab. »Ach so, ja, ich glaube, da ist gerade jemand rausgegangen.« Er warf seinen Schlüssel auf die Kommode. »Warum fragst du?«
Michael machte die Tür zu und schloss ab. Das Eiswasser auf dem Teppich begann bereits zu trocknen.
Darryl bemerkte den aufgeklappten Laptop und sagte: »Hast du gerade gearbeitet?«
»Ja«, erwiderte Michael und schaltete das Gerät aus. »Bis jetzt.«
»Irgendwas Interessantes in Stromviken gefunden?«
»Nein, nichts Besonderes«, sagte Michael und wandte sich ab, um seinen möglicherweise verräterischen Gesichtsausdruck zu verbergen.
Darryl entdeckte das Glas Scotch und meinte: »Davon werde ich mir auch einen Schluck gönnen.«
Während Michael etwas Scotch in ein Glas goss, warf Darryl das Handtuch in Richtung Kommode. Es fiel herunter und riss dabei eine Haarbürste und noch ein paar andere Dinge mit. »Sorry«, sagte er, »meine Wurftechnik war noch nie besonders gut.« Er bückte sich und sammelte die Sachen vom Teppich auf, den letzten Gegenstand wog er nachdenklich in der Hand.
Als Michael ihm sein Glas reichte, gab Darryl ihm die Kette aus Walrosszähnen, die er gerade aufgehoben hatte. Auf Michaels Handfläche entrollte sie sich wie eine Schlange.
»Wenn du in die Welt zurückkommst«, sagte Darryl, »kannst du das ja seiner Witwe schicken. Wahrscheinlich wird sie sie haben wollen.«
16 . Dezember,
20 : 20 Uhr
Nachdem Michael die Krankenstation verlassen hatte, was Eleanor sehr bedauerte, hatte die Ärztin sie in das Badezimmer geführt. Sie hatte ihr gezeigt, wie die warme Dusche funktionierte,
und ihr alles, was sie brauchte, dagelassen. Es gab zum Beispiel eine schlanke Tube, die, wenn man sie leicht eindrückte, eine Paste abgab, deren Geschmack sie an Limonen erinnerte. Mit dieser Paste und einer Bürste mit kurzen, feinen Borsten konnte man sich die Zähne säubern. Eleanor wunderte sich kurz, von welchem Tier diese Borsten wohl stammen mochten.
»Wenn Sie noch etwas brauchen, ich bin nebenan«, sagte die Ärztin.
Und dann war Eleanor allein in dem Waschraum, der anders aussah als alles, was sie kannte, genau wie die frische Kleidung für sie, zum ersten Mal seit hundertfünfzig Jahren. Sie
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