Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
Vom Netzwerk:
letzten Kleidungsstücke auf einen Weidenkorb gelegt hatte, trat sie vorsichtig in den warmen Sprühregen. Das Wasser kam aus einem runden Apparat und schien zu pulsieren, als es wie Regen auf sie herabplätscherte. Ein Stück Seife, ausgerechnet grün, lag in einer flachen Nische in der gefliesten Wand. Und so wie die Paste für die Zähne nach Limonen geschmeckt hatte, duftete die Seife nach Nadelbäumen. Hatte alles in dieser seltsamen neuen Welt einen fremden Geschmack oder Duft? Eleanor ließ den warmen Sturzbach auf ihre Arme und dann auf ihre Schultern niedergehen. Unsicher, wie langer dieser wundersame Wasserfall andauern mochte, hielt sie ihr Gesicht in den Sprühnebel. Alles war so fremd und voller
Überraschungen, als würde sie noch einmal auf der Krim an Land gehen.
    Das Wasser fühlte sich an wie tausend winzige Regentropfen, die auf ihre Lider trommelten und ihren Hals und ihre Brüste hinunterrannen. Stückchenweise schob sie sich vorwärts, bis das Wasser über ihren Kopf lief und das lange braune Haar an beiden Seiten ihres Gesichts herunterhing. Es war eine der köstlichsten Empfindungen, die sie je erlebt hatte, und viele Minuten lang stand sie da, die Hände gegen die weißen Fliesen gestützt, und ließ sich einweichen. Wie Teeblätter, dachte sie, während das Wasser sich zu ihren Füßen in einer flachen Pfütze sammelte. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten fühlte sich ihre Haut am ganzen Körper warm an, und sie fragte sich, ob die Wärme wohl irgendwann ihr Herz erreichen und den nie nachlassenden Schmerz lindern könnte, der schon so lange ihr Begleiter war, wenn sie lange genug so dastände und das heiße Wasser nicht ausginge.

39 . Kapitel 17 .Dezember, Mitternacht
    Als Sinclair endlich zur Walfangstation zurückkehrte, läutete die Glocke im Kirchturm, aber es war nur der Wind, der am Schwengel zerrte. Gleichwohl hatte das Geräusch ihm und den Hunden geholfen, im Sturm den Weg zu finden. Mit der toten Robbe auf den Schultern wankte er in die Kirche, und die Hunde, die er zuvor aus ihren Geschirren befreit hatte, sprangen wild um seine Füße herum. Sofort sah er, dass die Tür zur Sakristei offen stand. Er warf die Robbe auf den Altar, rannte zur offenen Tür und blickte in den Raum.
    Das Feuer im Ofen war erloschen und Eleanor verschwunden.
    Schwer atmend, die Arme an die Türpfosten gestützt, blieb er stehen. Es war möglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass sie eine Möglichkeit gefunden hatte, den Riegel zu öffnen und zu fliehen. Aber wohin?
    Und warum?
    »Eleanor!« Immer wieder rief er ihren Namen, und die Hunde, die im Kirchenschiff herumstreunten, antworteten ihm im Chor. Tobend rannte er die Stufen zum Kirchturm hinauf und spähte hinaus in den Zyklon aus Eis und Schnee, aber er konnte kaum die Lagerhäuser und Schuppen unter sich sehen. Selbst wenn er sich zu Fuß in den Sturm hinauswagte, war der Blizzard so heftig, dass er sich nicht orientieren oder in eine gleichbleibende Richtung bewegen könnte. Wenn Eleanor bei diesem Sturm hinausgegangen
war, würde er sie niemals finden können … oder seinen Weg zurück.
    Er wusste, dass er nichts tun konnte außer zu warten und auszuharren, bis der Sturm abflaute. Obwohl er den Gedanken hasste, musste er sich eingestehen, dass sie möglicherweise etwas Unbesonnenes und Unverzeihliches getan hatte. Dass sie sich, aus eigenem freien Willen, dazu entschlossen hatte, nicht mehr weiterzuleben. Er wusste, dass sie verzweifelt war, auch ihm war dieses Gefühl nicht fremd. Aber tief in seinem Herzen konnte er nicht glauben, dass sie sich etwas angetan hatte. Er durchsuchte ihre bescheidene Unterkunft nach einem Zeichen des Abschieds, oder einer Art Nachricht, herausgerissene Blätter aus den Gesangbüchern vielleicht. Doch er fand nichts. Er wusste, dass Eleanor ihn nie auf diese Weise verlassen hätte, gleichgültig, wie sehr sie der Kummer überwältigte. Sie hätte ihn nicht ohne ein Wort verlassen. Er kannte sie zu gut, um das zu glauben.
    Sonst blieb nur noch eine Möglichkeit. Eleanor war weggebracht worden. Gegen ihren Willen.
    Waren in seiner Abwesenheit Männer aus dem Lager gekommen und hatten sich mit ihr davongemacht? Alle Spuren, die sie im Schnee gezogen haben könnten, waren längst verweht, und in der Kirche waren wegen der nassen Hunde keine Fußspuren mehr zu sehen, die Eindringlinge vielleicht hinterlassen hatten. Aber wer sonst könnte es gewesen sein? Und wohin sonst könnte Eleanor gebracht worden sein, wenn nicht

Weitere Kostenlose Bücher