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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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liegen, bis es Abend wurde. Als es dämmerte, kam Sinclair wieder zu ihr.
    Im Kerzenlicht hatte er ihr Gesicht betrachtet, als suchte er nach Zeichen, und das, was er sah, schien ihn glücklich zu machen. »Es geht dir besser«, flüsterte er und legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Das Fieber ist weg.«
    »Ja«, sagte sie und schmiegte ihre Wange in seine Hand.
    »Morgen können wir diesen verfluchten Ort verlassen.«
    Eleanor wusste nicht, wovon er sprach. »Verlassen?« Sinclair war in der Armee, und sie musste morgen wieder ihren Dienst aufnehmen.
    »Wir können ja wohl schlecht hierbleiben, nicht wahr? Jetzt nicht mehr.«
    Eleanor war verwirrt. Warum nicht? Was hatte sich geändert, außer, dass sie beide wieder gesund geworden waren?
    »Ich werde uns Pferde beschaffen«, fuhr er fort, »obwohl wir uns fürs Erste vermutlich mit einem werden begnügen müssen.«
    »Sinclair«, sagte Eleanor, besorgt, dass er vielleicht wieder Fieber hatte, »was redest du da? Wo sollen wir hingehen?« Sprach er im Wahn?
    »Irgendwohin. Dieses ganze verdammte Land ist ein einziges Schlachtfeld. Ganz gleich, wohin wir uns wenden, wir sollten keine Probleme haben, das zu bekommen, was wir … brauchen.«
    »Was wir brauchen?«
    Daraufhin hatte er ihr ernst in die Augen geblickt. Beide Hände umfassten ihr Gesicht, als er neben ihrer Bettstatt niederkniete. Mit leiser Stimme erzählte er eine Geschichte, die so entsetzlich war, dass sie ihm nicht geglaubt hatte, nicht ein Wort davon. Ein Märchen von Kreaturen, die des Nachts auf der Krim umgingen und Jagd auf die Sterbenden machten. »Ich sehe es jede Nacht in meinen Träumen«, sagte er, »und doch kann ich dir nicht sagen, was für ein Wesen es war.« Er sprach von einem Fluch, oder einem Segen, der dem Tod selbst trotzte. Von einem Verlangen, das niemals aufhörte und dessen Sklavin sie nun, gleich ihm, geworden sei. Sie konnte es nicht glauben, und sie würde es nie glauben.
    Doch oberhalb ihrer Brust konnte sie die Wunde spüren, eine verräterische Narbe, die, wie Sinclair sagte, der Beweis für die Richtigkeit seiner Geschichte war.
    Er küsste die Narbe reumütig. Heiße Tränen brannten in ihren Augen, sie drehte das Gesicht zur Wand und schnappte nach Luft. Der Raum, dessen hohes Fenster sich zum Meer hin öffnete, kam ihr plötzlich unerträglich klein und stickig vor.
    Sinclair umklammerte ihre Hand, doch sie zog sie zurück. Was
hatte er ihr angetan? Was hatte er ihnen beiden angetan? Wenn er die Wahrheit sprach, dann waren beide zu einem Schicksal verdammt, das schlimmer war als der Tod. Eleanor war im Glauben der Church of England erzogen worden, aber sie war niemals besonders fromm gewesen, das hatte sie ihrer Mutter und ihren Schwestern überlassen. Doch was Sinclair ihr erzählte, war selbst in ihren Augen ein Sakrileg solchen Ausmaßes, dass sie den Gedanken daran und an das Leben, das sie gezwungen wären zu führen, kaum ertrug.
    »Es war die einzige Möglichkeit, wie ich dich retten konnte«, erklärte Sinclair. »Vergib mir, Eleanor! Bitte sag, dass du mir vergeben kannst!«
    Doch in diesem Augenblick konnte sie es nicht. In diesem Moment konnte sie nur die feuchte Luft des Bosporus einatmen und überlegen, was sie tun könnte …
    Auch jetzt gab es keinen einfachen Ausweg aus diesem Dilemma.
    Während sie im Krankenzimmer hin- und herlief, bemühte sie sich, nicht an die weiße Metallkiste mit dem Blut zu denken, obwohl sie direkt vor ihr stand. Sie müsste nur die Tür öffnen und sich nehmen, was sie brauchte. Es war so verlockend.
    Sie zwang sich, den Blick abzuwenden und trat ans Fenster.
    Die niemals untergehende Sonne spendete ein eintöniges grelles Licht, das sie an den Himmel auf ihrer unglückseligen Reise an Bord der
Coventry
erinnerte. Die Uhr sagte, dass es auf Mitternacht zuging, doch sie wusste, dass es keine richtige Nacht geben würde. An diesem Ort gingen die Tage nahtlos ineinander über, und sie wusste, dass sie in den Augen Gottes bereits mehr Erdentage gelebt hatte, als ihr jemals hätten zustehen können.
    Michael. Michael Wilde. In dem Moment, in dem sie an ihn dachte, fühlte sie, wie ihre Gedanken sich aufhellten. Er war so freundlich gewesen, und dann, nachdem er sich die Freiheit genommen hatte, sich zu ihr auf die Klavierbank zu setzen, so
beschämt über seine Verfehlung. Auch wenn sein Benehmen aufdringlich gewirkt hatte, wusste Eleanor sehr wohl, dass sie in einer neuen Welt war, in der andere Sitten herrschten. Es gab so

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