Eisiges Blut
wunderschön«, sagte sie mit leiser Stimme, »aber sollten wir nicht lieber das Geld sparen, das wir noch übrig haben?«
»Combien d’argent?«
, fragte Sinclair den Ladenbesitzer und beglich die Rechnung ohne zu zögern. Eleanor wusste nie, wo ihre Geldmittel herkamen, aber es war immer genügend vorhanden, um von einem Ort zum anderen zu reisen. Sie hatte den Verdacht, dass Sinclair sich als jemand ausgab, der er nicht war, und sich Geld von anderen Engländern lieh, die sie im Ausland kennenlernten. Die Darlehen setzte er dann gewinnbringend am Spieltisch ein.
In Lissabon hatten sie ein Zimmer ganz oben in einem kleinen Hotel genommen, von dem aus sie die mit Zinnen besetzte Fassade der
Igreja de Santa Maria Maior
sehen konnten. Das Glockengeläut der Kathedrale war wie eine beständige Mahnung, und eines Morgens schien Sinclair ihre Gedanken zu erraten und sagte: »Wollen wir hier heiraten?«
Eleanor wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie fühlte sich bereits auf so viele Arten verdammt, und so sehr die Vorstellung, ordentlich verheiratet zu sein, ihr gefiel, war allein der Gedanke, in ihrem gegenwärtigen Zustand eine Kirche zu betreten und den heiligen Segen zu empfangen, zu entmutigend. Doch Sinclair
setzte sich schließlich durch, indem er sagte: »Wir können es uns zumindest ansehen. Nach allem, was man hört, soll es eine sehr schöne Kirche sein.«
»Aber wir können keinen Priester bitten, uns zu trauen. Nicht mit all den Lügen, die wir ihm erzählen müssten.«
»Wer redet denn von einem Priester?«, sagte Sinclair verächtlich. »Außerdem spricht er ohnehin portugiesisch. Wenn du willst, können wir unser eigenes Gelübde ablegen. Gott hört es auch ohne einen Priester als Vermittler. Vorausgesetzt natürlich, dass es überhaupt einen Gott gibt, der uns hören könnte.« Aus seinem Mund klang es, als sei das äußerst fragwürdig.
Und so hatte sie ihr bestes Kleid und Sinclair seine Uniform angezogen. Arm in Arm waren sie über den Platz zur Kathedrale gegangen. Sie gaben ein gutaussehendes Paar ab, wie Eleanor an den Blicken der Passanten ablesen konnte. Die Kirche war im zwölften Jahrhundert errichtet worden, und obwohl sie bei den Erdbeben von 1344 und 1755 schwer beschädigt worden war, hatte man sie immer wieder repariert und wiederaufgebaut. Wie eine weiße Festung erhoben sich die Zwillingstürme zu beiden Seiten des hohen, großzügig geschwungenen Eingangs. Durch die bunten Scheiben der Rosette zwischen den Türmen schickte die Sonne ihre Strahlen, die einen goldenen Schimmer über die altertümlichen Vergoldungen und massiven Säulen im Inneren legten. In kleinen Nischen hinter Eisentoren befanden sich marmorne Grabmäler, jedes mit einem Wappen geschmückt. Auf einem Grabstein sah Eleanor die Gestalt eines liegenden Ritters in voller Rüstung, der sein Schwert festhielt und von seinem Hund bewacht wurde; auf einem anderen las eine Frau in klassischem Gewand in einem Stundenbuch. Die Kathedrale war riesig, und obwohl Gläubige auf den Bänken saßen und Besucher im Kirchenschiff herumschlenderten, lag eine andächtige Stille über allem. Eleanor vernahm nur das Geräusch ihrer Schritte, als sie durch das Mittelschiff gingen.
Am einen Ende des Querschiffes stand ein älterer Priester mit schwarzer Robe und einem weißen, um die Hüfte geschlungenen Band. Er besprach sich mit mehreren gut gekleideten Damen und Herren, und Eleanor ging instinktiv in die andere Richtung. Sinclair spürte, wie sie an seinem Arm zog und lächelte.
»Hast du Angst, dass er deinen Geruch wahrnimmt?«
»Über so etwas scherzt man nicht!«
»Glaubst du, er wird uns hinausjagen?«
Doch dieses Mal antwortete sie ihm nicht.
»Wir müssen das nicht machen«, sagte er. »Ich habe es nur dir zuliebe vorgeschlagen.«
»Es ist Unrecht«, rief sie und entzog sich ihm. Was war nur in sie gefahren, dass sie sich überhaupt darauf eingelassen hatte?
Sinclair eilte ihr nach und hielt sie am Ärmel fest. »Es tut mir leid. Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe.«
Eleanor spürte, dass mehrere Menschen sie beobachteten. Sie begannen, Aufsehen zu erregen, und das war das Letzte auf der Welt, was sie wollte. Sie versteckte sich hinter der letzten Säule vor dem Altar und hob ihr Taschentuch in die Höhe, um ihr Gesicht zu verbergen.
»Ich würde dich überall heiraten«, sagte Sinclair mit leiser, aber drängender Stimme. »Das musst du doch wissen. In Westminster Abbey, oder mitten im Wald, vor keinen
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