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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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anderen Zeugen als den Vögeln in den Bäumen.«
    Das wusste Eleanor, aber es genügte nicht. Sinclair glaubte an nichts mehr, und er hatte ihren Glauben in den Grundfesten erschüttert. Was
taten
sie hier? Was hatte sie gehofft, könnte dabei herauskommen? Es war ein entsetzlicher Fehler gewesen, und sie hatte es in jenem Moment gewusst, als sie die Schwelle der Kathedrale überschritten hatte.
    »Komm«, sagte er inständig und legte eine Hand in die Beuge ihres Ellenbogens. »Du brauchst dich nicht zu verstecken.«
    Sie versuchte, sich zu widersetzen, aber er zog sie aus dem
Schatten heraus. Aus Angst, noch mehr Aufsehen zu erregen, ließ sie ihn schließlich gewähren.
    »Wir haben nichts zu verbergen«, sagte er.
    Er führte sie zuerst in die Mitte des Kirchenschiffs und dann weiter, bis sie vor dem reich geschmückten und glitzernden Altar standen. Das bleiverglaste Fenster leuchtete in strahlenden Blau-, Rot- und Gelbtönen wie ein Kaleidoskop, das Eleanor einst bei einem Londoner Geschäft mit optischen Geräten gesehen hatte. Es war so schön, dass sie den Blick kaum abwenden konnte.
    Sinclair umschloss ihre Hände mit seinen und sagte leise: »Ich, Sinclair Archibald Copley, nehme dich, Eleanor … « Er hielt inne. »Ist das nicht sonderbar? Ich kenne deinen zweiten Vornamen nicht. Hast du überhaupt einen?«
    »Jane.« «
    » … nehme dich, Eleanor Jane Ames«, fuhr er fort, »zu meinem rechtmäßig angetrauten Weib. Ich schwöre, dich zu achten und zu ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod uns scheidet.«
    Eleanor spürte, dass sie sich viel zu auffällig benahmen und versuchte, die Hände sinken zu lassen.
    Doch Sinclair hielt sie fest. »Ich hoffe, dass ich das richtig in Erinnerung behalten habe. Wenn ich irgendetwas vergessen habe, sag es mir bitte.«
    »Nein, ich glaube, du hast es richtig gesagt.«
    »Gut, denn sobald du das Gelübde abgelegt hast, können wir gehen und in dem lauten Lokal auf dem Platz darauf anstoßen.«
    »Sinclair«, flehte sie. »Ich kann nicht.«
    »Kannst du nicht?«, fragte er und klang gereizt, »oder willst du nicht?«
    Eleanor war sicher, dass der Priester sie inzwischen bemerkt hatte. Er hatte einen langen weißen Bart und wachsame dunkle Augen unter buschigen Brauen. »Sinclair, ich glaube, wir sollten jetzt gehen.«
    »Nein«, sagte er. »Nicht, bevor wir die versammelte Gemeinde gefragt haben … «
    »Welche Gemeinde?« Der
andere
Sinclair, derjenige, den sie fürchtete, kam zum Vorschein.
    »Nicht, bevor wir die Gemeinde gefragt haben, ob irgendjemand einen Hinderungsgrund gegen unsere Vermählung kennt.«
    »Das muss vor dem Gelübde kommen«, sagte sie. »Zieh die Sache nicht noch mehr ins Lächerliche, als wir es ohnehin schon getan haben.«
    Sie wusste, dass sie gehen mussten. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Priester sich bei den portugiesischen Aristokraten entschuldigte.
    »Wir fallen auf«, flüsterte sie, »und das ist nicht sicher. Du weißt das besser als jeder andere.«
    Er fixierte sie mit einem düsteren Blick, als überlegte er, wie weit er noch gehen durfte. Eleanor kannte diesen Blick und wusste, dass seine Stimmung jeden Moment umschlagen konnte, von Fröhlichkeit zu Raserei, von Freundlichkeit zu Gefühllosigkeit.
    Er öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, als sie ein Rumpeln in den Steinplatten zu ihren Füßen und aus der Wand hinter dem Altar vernahm. Das schwere Kruzifix neigte sich und geriet ins Schwanken. Der Priester, der auf sie zukam, blieb stehen und blickte voller Entsetzen auf, während sich im Fußboden lange Rissen bildeten. Überall um sie herum schrien Menschen auf oder warfen sich mit verschränkten Händen auf den Boden, um zu beten.
    Als Sinclair und Eleanor zurücktraten, löste sich das Kreuz endgültig von der Wand. Dabei riss es Steine aus dem jahrhundertealten Gemäuer heraus und wirbelte eine Staubwolke auf. Sinclair zerrte Eleanor hinter eine Säule, wo sie sich hinkauerten und darauf warteten, dass das Erdbeben die ganze Kirche um sie herum dem Erdboden gleichmachen würde. Die einzigartigen
Bleifenster barsten wie Eis auf einem Tümpel und zerfielen in tausend glitzernde Glasscherben. Staub und Schutt stoben durch das Mittelschiff. Eleanor presste sich das Taschentuch vor Mund und Nase, und Sinclair hob den Ärmel seiner Uniform, um sein Gesicht zu schützen. Durch die Staubwolke erhaschte Eleanor einen Blick auf den Priester. Er bekreuzigte sich, kämpfte

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