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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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Aber wie und unter welchen Umständen sollte sie diesen Ort verlassen? Hatte Murphy eigene geheime Pläne? Michaels Meinung nach würde sie einen Freund brauchen, ganz gleich, was weiter geschah. Jemanden, den sie kannte, dem sie vertraute und der sie in die moderne Welt führte. Und ihm wurde klar, dass er, ohne bewusst darüber nachgedacht zu haben, in diese Rolle geschlüpft war.
    Im Gemeinschaftsbadezimmer betrachtete er lange sein müdes
Gesicht im Spiegel und beschloss, sich zu rasieren. Warum sollte er sich nicht rasieren, bevor er ins Bett ging? Am Südpol stand schließlich alles kopf.
    Aber es gab nicht nur Eleanor, da war auch Sinclair. Die beiden würden zusammenbleiben wollen. Und welche Rolle würde er dann spielen? Die eines Anstandswauwaus, der die beiden Liebenden zurück in die schöne neue und verwirrende Welt führte?
    Sein Bart war so rau, dass der Rasierer ständig hakte. Bluttropfen sammelten sich an seinen Wangen und am Kinn.
    Wenn er ehrlich war, welches andere Szenario hatte er sich eigentlich vorgestellt? Er wusste, dass in ihm Gefühle brodelten, die er besser nicht genauer prüfte. Verdammt, er war ein Fotojournalist, der einen Job zu erledigen hatte, darauf sollte er sich konzentrieren. Alles andere waren Hirngespinste.
    Er wischte über den beschlagenen Spiegel. Seine Augen waren groß, aber müde, vielleicht waren das schon Anzeichen des Großen Auges. Und er musste zum Friseur. Sein schwarzes Haar war dicht und widerborstig und kringelte sich über den Ohren. Ein paar Leute quatschten in der Sauna hinter ihm, den Stimmen nach könnten es Lawson und Calloway sein. Er spritzte etwas kaltes Wasser auf die Stellen, wo er sich geschnitten hatte, dann duschte er rasch und ging zurück auf sein Zimmer.
    Dort angekommen, zog er als Erstes den Vorhang zu. Er hätte nie gedacht, dass er die Sonne hassen könnte, aber in diesem Moment tat er es. Er schlüpfte in ein frisches T-Shirt und Boxershorts, kletterte in seine Koje und versuchte, die Bettdecke zu entwirren. Darryl machte sein Bett jeden Tag, aber Michael sah keine Veranlassung dazu, in Point Adélie etwas zu tun, worum er sich zu Hause auch nicht kümmerte. Er zerrte an dem Laken, um die kratzige Decke nicht an den Beinen zu spüren, und zog die Bettvorhänge zu. Dann lag er in der schmalen Koje auf dem Rücken, das Schaumstoffkissen unter den Kopf geklemmt, und starrte in die Dunkelheit.
    Seine Haare waren hinten immer noch nass, und er hob den Kopf, um sie trockenzurubbeln. Mit geschlossenen Augen atmete er tief ein und aus, um sich zu entspannen. Er versuchte, langsam und ganz bewusst Luft zu holen. Er stellte sich Sinclair vor, wie er auf der Pritsche im alten Fleischlager lag. Die Gewürzkiste war fortgeschafft worden, um genügend Platz zu schaffen, und sie hatten jede Menge Heizstrahler aufgestellt. Charlotte hatte sich um seine Verletzung gekümmert und die Wunde mit sechs Stichen genäht. Franklin und Lawson waren dazu eingeteilt, in Achtstundenschichten Wache zu schieben. Michael hatte angeboten, ebenfalls eine Schicht zu übernehmen, doch Murphy hatte gesagt: »Strenggenommen bist du hier nur Gast. Lass es uns dabei belassen.«
    Die Matratze hing in der Mitte durch, und Michael rutschte ein Stück zur Wand. Egal, was Murphy dachte, irgendwer musste Eleanor am Ende von Sinclair erzählen. Wie würde sie darauf reagieren? Eigentlich sollte die Frage leicht zu beantworten sein, aber Michael war sich dessen gar nicht so sicher. Sie würde natürlich erleichtert sein. Erfreut? Wahrscheinlich. Würde sie darauf bestehen, auf der Stelle zu ihm zu gehen? Michael wusste nicht, ob es Wunschdenken oder ein feines Gespür war, aber er argwöhnte, dass Eleanor sich in gewisser Hinsicht vor Sinclair fürchtete. Nach dem, was sie ihm aus ihrem Leben erzählt hatte, hatte Sinclair sie auf eine ziellose und gefährliche Odyssee mitgenommen, eine Odyssee, die noch längst nicht zu Ende war.
    Doch so sehr sie ihn auch liebte, war sie bereit, dieses Leben fortzuführen?
    Er sah ihre Brosche vor sich. Venus, die den Wogen des Ozeans entstieg. Wie gut das passte. Eleanor war aus dem Meer aufgestiegen, und sie war wunderschön. Sofort fühlte er sich illoyal, so etwas nur zu denken. Kristin war kaum beerdigt.
    Aber das war es. Er konnte es nicht länger leugnen noch verdrängen.
    Eleanors Gesicht verfolgte ihn. Die smaragdgrünen Augen unter den langen dunklen Wimpern. Das volle braune Haar. Selbst die gespenstische Blässe. Sie schien aus einer

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