Eisiges Blut
und stets einen Schritt unter ihr geblieben war, dann war er wieder nach oben
gestiegen und hatte versucht, den toten Albatros zu entfernen und die kleine Kabine irgendwie abzudichten. Doch er konnte nicht viel tun, denn der Kadaver des Vogels war zwischen den zerbrochenen Fenstern verkeilt, und die Kante der Schleuderscheibe hatte sich wie ein Skalpell in seinen Brustkorb gefräst. Also hatte er beschlossen, das Tier zu lassen, wo es war. Zumindest konnten die peitschenden Wogen so nicht in die Kabine eindringen und noch mehr Schaden anrichten.
Nein, es würde ihm nicht leid tun, das Schiff zu verlassen und nach Point Adélie zu kommen. Dort würde er ernsthaft mit der Arbeit beginnen können.
Michael war schon in vielen Hubschraubern geflogen. Nachdem die Plane entfernt war, erkannte er, dass es sich bei diesem hier um einen Helikopter der Dolphin Class handelte, eine robuste, zweimotorige Maschine mit Einrotorsystem, die routinemäßig für Missionen wie das Aufspüren von Drogen, Eispatrouillen und Rettungseinsätze verwendet wird. Wie das Schiff, auf dem sie sich befanden, war auch der Hubschrauber rot gestrichen, eine allgemeine Sicherheitsmaßnahme in den Breitengraden, in denen ständig mit Eis zu rechnen war. Hier konnte ein Farbtupfer darüber entscheiden, ob man entdeckt wurde und überlebte oder für immer verloren war. Er sah zu, wie ein paar Matrosen begannen, Treibstoffleitungen auszulegen und die Maschine startklar zu machen. Andere fingen an, einige Kisten auszuladen. Die Männer erinnerten Michael an die Boxenmannschaft bei einem Autorennen, jeder erledigte seine Aufgabe mit geübten Handgriffen und beinahe ohne ein Wort zu wechseln. Er sammelte seine Kameraausrüstung zusammen und ging nach unten in seine Kabine.
Darryl saß zusammengesunken auf der Kante seiner Koje und kaute an einem Proteinriegel.
»Warum gehst du nicht in die Messe«, sagte Michael und stopfte sein Rasierzeug in den Seesack, »und isst etwas Warmes? Es gibt Hackfleisch.«
»Kann nicht«, erwiderte Darryl.
»Bist du zu schwach?«, fragte Michael. »Ich kann dich hinbringen.«
»Ich kann nicht, weil ich kein Fleisch esse.«
Michael hörte auf zu packen.
»Hast du es noch nicht gemerkt?«, fragte Darryl.
Jetzt, wo er darüber nachdachte, stellte Michael fest, dass er Darryl tatsächlich noch nie Fleisch hatte essen sehen. Er hatte Unmengen an Obst und Gemüse, tonnenweise Brot, Käse und Cracker, Maissuppe, Kirschkuchen und Spinatsoufflé vertilgt. Aber keine Hamburger, Schweinekoteletts oder Brathähnchen.
»Wie lange schon?«
»Seit ich auf dem College Biologie als Hauptfach hatte.«
»Was hat das damit zu tun?«, wollte Michael wissen.
»Alles«, sagte Darryl und schob die Folie um den Proteinriegel ein Stück nach unten. »Als ich ernsthaft anfing, das Leben in all seinen Erscheinungsformen zu studieren und sah, dass Lebensformen, egal wie groß oder klein, eines gemeinsam haben, brachte ich es nicht mehr übers Herz, noch länger mitzumachen.«
Michael glaubte, verstanden zu haben. »Du meinst, so etwas wie den Lebenstrieb?«
Darryl nickte. »Jede Spezies, vom Blauwal bis zur Fruchtfliege, kämpft mit jeder Faser darum, die eigene Existenz zu erhalten. Und je mehr ich sie erforschte, desto schöner kamen mir alle Lebewesen vor, selbst die einzelligen Kieselalgen. Leben ist ein Wunder, ein absolut irres Wunder, egal, welche Form es annimmt, und es ist mir einfach nicht mehr richtig vorgekommen, auch nur eins davon zu zerstören, wenn es nicht nötig ist.«
Michael war nicht bereit, auf seine Koteletts oder T-Bone-Steaks zu verzichten, doch er konnte Darryls Standpunkt verstehen. Aber eines begriff er nicht.
»Warum hast du das nicht gesagt? In der Offiziersmesse hätte man dir sicher vegetarische Mahlzeiten serviert.«
Darryl sah ihn vielsagend an. »Weißt du, was Seeleute und Leute vom Militär im Allgemeinen von Vegetariern halten?«
Darüber hatte Michael sich noch nie Gedanken gemacht, und Darryl sah es ihm an.
»Ich wäre besser dran, wenn ich ihnen erzählen würde, ich sei ein Kinderschänder.«
Michael musste lachen. »Und was machst du in Point Adélie? Wirst du dein Geheimnis dort auch für dich behalten?«
Darryl zuckte die Achseln, steckte den Rest des Proteinriegels in den Mund und knüllte die Verpackung zu einem kleinen Ball zusammen. »Ich werde die Bratwurst bekämpfen, wenn ich ihr gegenüberstehe.« Er stand auf und zog sich einen Pullover über den Kopf. »Die anderen Wissenschaftler
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