Eisiges Blut
ihr?«, sagte er und deutete auf die Berge aus Papieren und Formularen, die in Drahtkörben auf dem Schreibtisch lagerten. »Dieser Dreck hat sich in einer Woche angesammelt, und ich muss noch alles ausfüllen und abheften. Über jeden Dollar, den wir hier ausgeben, muss ich Rechenschaft ablegen. Wisst ihr, wie teuer es ist, einen Eisbohrer aufs Eis zu schicken und die Tauchhütte und Ausrüstung vorzubereiten?«
»Ich bin sicher, dass es eine Menge kostet«, sagte Michael, »und genau deshalb müssen wir schnell sein. Alles ist noch an Ort und Stelle. Ich kann morgen noch einmal runter, und mit Calloways Hilfe und der richtigen Ausrüstung bekommen wir sogar irgendwie die Leiche aus dem Eis. Himmel«, rief er verzweifelt, »das wird ein Riesenfund.«
»Meinst du nicht eher eine Riesenstory für deine Zeitung?«, gab Murphy zurück.
Darauf gab es nichts weiter zu sagen. Murphy kaute auf seiner Tablette herum, und Michael und Darryl warfen sich einen enttäuschten Blick zu.
Schließlich seufzte Murphy, als sei er der Sache überdrüssig. »Wo ist Calloway?«
»Ich habe ihn im Gemeinschaftsraum gesehen«, erklärte Darryl.
»Sag ihm, dass er herkommen soll«, sagte Murphy und wandte seine Aufmerksamkeit den Papieren auf der Schreibtischunterlage zu. »Jetzt.«
Michael war klug genug, den Mund zu halten. Ebenso wie Darryl.
Auf einem Arbeitstisch in Darryls Labor lag die Weinflasche in einem kleinen Becken mit lauwarmem Meerwasser. Nachdem die Eisschicht verschwunden war, war das Etikett besser zu erkennen, aber die Druckfarbe war so verlaufen, dass nur noch ein verschwommener Fleck zu erkennen war. Darryl spähte in das Becken, als würde er ein lebendiges Wesen beobachten, das ihn jeden Moment überraschen konnte, während Michael auf und ab schritt und sich fragte, was er noch tun konnte, um Murphy rumzukriegen.
»Lass die Sache eine Weile auf sich beruhen«, riet Darryl ihm. »Er ist ein Bürokrat, aber er ist nicht dumm. Er wird sich schon wieder beruhigen, wenn er es nicht schon längst getan hat.«
»Und wenn nicht?«
»Er wird, glaub mir.« Darryl lehnte sich auf dem Stuhl zurück und sah Michael an. »Ich werde ihm sagen, dass ich noch einmal runter muss, um weitere Proben zu sammeln. Er kann sich einem Beaker nicht verweigern, und wenn wir ihn so weit haben, macht
es auch keinen Unterschied mehr, ob er dich auch noch einmal mit runter lässt.«
Michael dachte darüber nach, aber er fürchtete, dass das nicht schnell genug sein könnte. »Was, wenn sie dann verschwunden ist?«
»Verschwunden?«, fragte Darryl ungläubig.
»Ich meine, wenn ich sie nicht wiederfinde?«
»Ein Gletscher von dieser Größe verschwindet nicht so schnell«, erwiderte Darryl, »und ich weiß genau, wo du warst. Mit Hilfe des Tauchlochs und des Sicherheitslochs kann ich mich ziemlich gut orientieren.«
Im Grunde dachte Michael ähnlich. Irgendetwas sagte ihm, dass er die Frau wiederfinden würde, egal wie.
Er kam wieder zum Tisch und musterte die Flasche im Becken. »Was meinst du, wann wir sie rausholen können?«
»Warum? Brauchst du einen Schluck?«
Michael lachte. »So durstig bin ich nun auch wieder nicht. Was glaubst du, was es ist?«
»Ich halte es für Wein.«
»Aber ist es Sherry oder Port? Aus Frankreich, Italien oder Spanien? Und aus welchem Jahrhundert – dem neunzehnten? Oder dem achtzehnten?«
Darryl dachte gründlich darüber nach. »Wenn wir die Truhe bergen könnten, die du gesehen hast, würde es uns bei der zeitlichen Einordnung helfen.« Er machte eine Pause. »Das Mädchen könnte auch helfen.«
Obwohl sie befreundet waren, oder vielleicht gerade deswegen, musste Michael die nächste Frage einfach stellen: »Du glaubst mir doch, oder? Dass ich sie im Eis gesehen habe?«
Darryl nickte. »Ich untersuche tausend Jahre alte Schwämme, Fische, die im Eiswasser nicht gefrieren, und Parasiten, die ihre Wirte absichtlich in den Wahnsinn treiben. Wenn ich dir nicht glaube, wer dann?«
Michael fühlte sich durch Darryls Unterstützung gestärkt. Auch Charlotte stand hinter ihm und hatte ihm versichert, jederzeit für seine geistige Gesundheit zu bürgen. Trotzdem wurde es eine lange Nacht. Es war, als könnte er seinen inneren Ofen nicht heiß genug bekommen, um die Kälte des Polarmeeres aus seinen Knochen zu vertreiben. Er aß eine große Portion Huhn mit Reis und schwarzen Bohnen und versuchte sich anschließend im Gemeinschaftsraum abzulenken. Franklin hämmerte einen Song von Captain &
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