Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
Vom Netzwerk:
im freien Fall halten könnte«, hatte sie gesagt.
    Aber das war nicht der Grund. Kristin wollte immer die Erste sein, diejenige, die das Ziel vorgab, das die anderen dann erreichen mussten.
    Sie waren bereits ins Seil eingebunden, und Michael hatte probeweise ein paar Klemmkeile und Camelots an der schartigen Kante des Felsens gelegt, die im Zickzack bis nach oben zum Sims führte. Im Kletterführer war diese Kante ebenfalls eingezeichnet, obwohl sie Michael in der Realität nicht so gerade vorkam wie in der Skizze. Zu seiner Bestürzung schien der Felsen ziemlich bröckelig zu sein. Als er die Sicherungen gelegt hatte, waren ihm häufig Steine und Brocken entgegengekommen. Er hatte es Kristin gesagt, doch sie kletterte bereits wie eine Spinne den Fels hinauf und ignorierte die Warnung, und er hatte keine Staatsaffäre daraus gemacht. Auch was das anging, wünschte er, er hätte sich anders verhalten.
    Es wurde schon spät, aber der Ausblick würde vielleicht au-ßergewöhnlicher sein, als alle, die sie zuvor gehabt hatten. Im
ersten Teil des Aufstiegs waren sie durch Pinienwälder gewandert und hatten einen sanften Hang aus festem Bimsstein erklommen. Doch schließlich verschwand der Kletterpfad unterm Schnee, und die letzten Stunden arbeiteten sie sich direkt am Fels entlang, suchten nach festen Tritten und Griffen und kleinen Vorsprüngen, die ausreichten, um wieder zu Atem zu kommen. Die Temperatur war zwar immer noch mild, doch die Luft wurde dünner, und die Nachmittagssonne sandte bereits ihre letzten Strahlen über die Gipfel der benachbarten Mount Jefferson und Three-Fingered Jack. Weit, weit unter ihnen lag der Big Lake und neben dem See der Parkplatz, auf dem sie den Jeep abgestellt hatte.
    Ein paar lose Steine prasselten die Felskante herunter, und Michael blickte nach oben, die Augen mit der Hand schützend. Er sah Kristins Beine in den Stretchshorts die Wand streifen, bis einer ihrer Füße Halt auf einem winzigen Vorsprung fand. Erfolgreiche Besteigungen bestanden aus solchen winzigkleinen glücklichen Umständen.
    »Alles in Ordnung?«, rief er.
    »Ja.« Er sah, wie sie einen Klemmkeil legte.
    Er justierte das 10 , 5 -mm-Seil um seine Schulter und biss in einen Proteinriegel. Er konnte seine Mutter hören, wie sie sagte, dass er sich den Appetit aufs Abendessen verderben würde.
    »Hier hat einer seinen Hex vergessen«, rief Kristin von oben. Es ging doch nichts über ein zusätzliches Stück Ausrüstung.
    »Meinst du, er liegt noch sicher?«
    Er sah, wie sie daran zerrte. »Ja, ich denke schon. Muss ja auch, sonst hätten sie ihn nicht hiergelassen.«
    Und wieder hatte in seinem Kopf leise eine Alarmglocke geklingelt. Eigentlich hatte er es sich zur Regel gemacht, niemals der Arbeit eines anderen zu trauen, vor allem, wenn man demjenigen nie begegnet war. Aber er hatte nicht darauf bestanden, dass Kristin den Hexentric ersetzte. Auch er wollte endlich den
Sims erreichen und das Nachtlager aufschlagen. Es versprach, ein sehr romantischer Sonnenuntergang zu werden.
    Sie hatte einen weiteren Klemmkeil in den trügerischen Felsen gelegt und arbeitete sich langsam weiter nach oben. Er stellte sicher, dass sie genug Seil hatte und sah, wie sie nach einer Felskante griff, als plötzlich irgendetwas schiefging.
    »Verdammt!«, hörte er sie rufen, und eine Sekunde später brachen größere Brocken aus dem Fels heraus und polterten auf seinen Helm. Staub wehte ihm ins Gesicht, und bevor er wieder klar sehen konnte, wurde das Seil locker, schrecklich locker. Er hörte ein metallisch klickendes Geräusch, als Klemmkeile, Felshaken und Hexentrics aus dem Fels herausgerissen wurden. Und Kristins Schrei, als sie vorbeistürzte. Instinktiv spannte er den Körper an und packte das Seil fester, doch ihre Fallgeschwindigkeit war zu groß. Die Sicherungen, die sie in den Fels gelegt hatte, hielten nicht länger als ein paar Augenblicke, ehe sie rausgerissen wurden. Das Seil, das er sich um die Schultern gelegt hatte, zog sich wie eine Schlinge zu, und er wurde herumgeschleudert. Immer noch halbblind, sah er, wie Kristin kopfüber wie eine Abrissbirne gegen den Felsen unter ihm schwang. Dann hörte sie abrupt auf zu schreien. Er spürte einen glühenden Schmerz, als seine Schulter ausgekugelt wurde. Trotzdem gelang es ihm irgendwie, seinen eigenen Absturz zu verhindern, ohne dass er später hätte sagen können, wie er es geschafft hatte. Er war bis an den Rand des schmalen Felsvorsprungs gerissen worden, lag flach auf

Weitere Kostenlose Bücher