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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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dem Boden und hing nur noch an der Standsicherung. Alles, was er hörte, war das leise Knarzen des Karabiners und das Scheuern des Seils am Felsen.
    Er wusste nicht, wie lange er in dieser Position gelegen hatte. Er konnte sich auch nur noch äußerst vage daran erinnern, wie er das Seil um einen Felsbrocken geschlungen und dann an einem Haken gesichert hatte, den er mit seiner brauchbaren Hand eingeschlagen hatte. Er rief nach Kristin, erhielt jedoch keine
Antwort. Er durchwühlte seine Ausrüstung, fand die Notfallpfeife und blies so kräftig hinein, wie er konnte, aber der Ton hallte nur von den Felsen in der näheren Umgebung wider.
    Ehe er auch nur daran denken konnte, sie hochzuziehen, musste er sich um seine linke Schulter kümmern. Da niemand in der Nähe war, der ihm hätte helfen können, musste er sie irgendwie allein wieder einrenken. Gesichert durch das Seil, dachte er über Möglichkeiten nach. Eine flache Steinmauer hinter ihm schien die einzige zu sein. Er stellte sich direkt daneben, holte tief Luft und ließ sich kräftig dagegen fallen. Sein Arm schien vor Schmerzen zu explodieren, aber er war noch nicht wieder ins Gelenk zurückgesprungen. Er sank auf die Knie und erbrach den Proteinriegel, den er zuvor gegessen hatte. Als er wieder stehen konnte, wischte er sich den Mund mit der rechten Hand ab und betrachtete die Felswand genauer. In einem Bereich war die Wand vorgewölbt, wie der Bauch einer Schwangeren. Möglicherweise würde er den Arm mit Hilfe dieses Buckels zurückdrücken können, vorausgesetzt, er ertrug den Schmerz. Vorsichtig näherte er sich der Stelle und überlegte, wie er es am besten anstellte. Dabei war ihm die ganze Zeit bewusst, dass er sich beeilen musste. Kristin schwang immer noch am Ende des Seils hin und her, dreihundert Meter über dem Pinienwald.
    Er stützte sich gegen den Felsen, brachte die Schulter in die richtige Position und drückte kräftig. Und noch kräftiger. Im Gelenk knirschte und knackte es, und der Schmerz war unerträglich, aber er gab nicht auf. Er dachte nur an Kristin und drückte nach oben, nach unten und zur Seite. Mit jeder Bewegung spürte er, wie seine Knochen sich neu ausrichteten, bis er hörte, wie sein Schultergelenk wieder einschnappte, wie ein Puzzleteil, das plötzlich in die richtige Lücke rutschte. Er keuchte ein paar Mal und wartete, voller Angst, ob es halten würde. Doch nichts geschah. Sein gesamter Körper war schweißüberströmt.
    Er trank einen Schluck Wasser aus der Flasche in seinem Rucksack
und begann dann mit äußerster Anstrengung, Kristin Zentimeter für Zentimeter zum Felsvorsprung hinaufzuziehen. Immer wieder rief er nach ihr, aber er bekam keine Antwort, was nichts Gutes bedeutete. Er betete, dass sie nur bewusstlos wäre und bald wieder zu sich käme. Doch als ihr Kopf am Rand auftauchte und er feststellte, dass ihr gelber Schutzhelm pulverisiert war, wie von einem riesigen Hammer getroffen, wusste er, dass es schlecht um sie stand. Sehr schlecht.
    Sobald er sie auf den Felsvorsprung gehievt hatte, nahm er ihr den Rucksack ab, der während des Sturzes aufgerissen war. Der gesamte Inhalt, bis auf ihr Handy, lag irgendwo unter ihnen verstreut. Er überprüfte ihren Herzschlag und ihre Atmung, breitete dann ihren Schlafsack aus und deckte sie damit zu. Er spürte, wie er selbst einen verspäteten Schock erlitt und machte eine kurze Pause, um vier Schmerztabletten aus ihrem Erste-Hilfe-Päckchen zu nehmen. Anschließend versuchte er, einen weiteren Proteinriegel zu essen, um bei Kräften zu bleiben. Sein Mund war so trocken, dass er kaum kauen konnte, bis er den Riegel schließlich in kleine Stücke brach und sie mit Wasser herunterspülte. Er überlegte, ob er Kristin etwas zu Trinken einflößen sollte, aber er hatte Angst, sie könnte daran ersticken. Er bettete ihren Kopf auf einen kleinen Hügel aus Erde und Schotter und wartete.
    Die letzten Sonnenstrahlen tauchten die westlichen Kaskaden in ein helles Rosa. Tief unten schimmerte der Big Lake wie ein Obsidian. Er hatte gedacht, dass es ein wunderschöner Ausblick sei und dass Kristin es sich unbedingt ansehen müsste. Sie mochte Sonnenuntergänge, besonders, wenn sie irgendwo in der Wildnis war. Sie sagte immer, dass sie unter den Sternen besser schliefe als in den Vier-Sterne-Hotels, in denen ihre Familie übernachtete. In jener Nacht war der Himmel voller Sterne.
    Aber die Temperatur sank.
    Aus Felsbrocken und Steinen, die er von der Stelle bewegen konnte, baute

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