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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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Geschenk.«
    »Es steht Ihnen ausgezeichnet.«
    »Möchten Sie sich nicht setzen?«, fragte sie und deutete auf die beiden harten Holzstühle, die den ganzen Raum ausfüllten, der als »Salon« zur Verfügung stand, »oder wollen wir lieber einen Spaziergang machen?«
    »Ich fürchte, ich habe weder für das eine noch für das andere genügend Zeit«, sagte er und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Um die Wahrheit zu sagen, habe ich mich sogar meinen Befehlen widersetzt, indem ich hierhergekommen bin.«
     
    Bei diesem Geständnis verwandelte sich Eleanors Neugier auf der Stelle in Besorgnis. Sie hatte bereits gemerkt, dass er vor Ungeduld fast platzte, obwohl sie nicht wusste, worum es sich handelte. Ebenso wenig war ihr entgangen, dass seine Uniform und die Stiefel beschmutzt und das Gesicht vor Anstrengung gerötet war.
    Er hatte die militärischen Dienstvorschriften verletzt? In den letzten Wochen hatte sie nicht gerade den Eindruck gewonnen, dass der junge Leutnant sich sklavisch an das Protokoll hielt. Hatte er ihr, einer Frau, nicht die inneren Heiligtümer des Longchamps Clubs gezeigt? Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass er einen gravierenden Fehler begehen würde. Allein das breite Lächeln, das seine Lippen umspielte, zerstreute ihre Befürchtungen.
    »Warum? Welche Befehle haben Sie missachtet?«
    Sinclair konnte sich offensichtlich nicht länger zurückhalten und platzte unvermittelt mit der Neuigkeit heraus, mit der freudigen Nachricht, dass sein Regiment endlich in die Schlacht ziehen würde.
    Eleanor musste ebenfalls lächeln. Sie spürte seine Aufregung, als sei sie ansteckend. Seit einiger Zeit füllten sich die Straßen der Stadt mit Protestzügen, manche von ihnen erhoben Einspruch gegen den Krieg, während andere laut dafür die Trommel rührten.
Die Zeitungen waren voll mit entsetzlichen Geschichten über die Gräuel, die den hilflosen Türken angetan wurden, und der Gefahren, die drohten, wenn die russische Flotte ins Mittelmeer gelänge und die seit langem bestehende britische Vorherrschaft über die Meere bedrohen würde. Aushebungskommandos zogen durch die Hinterhöfe und Gassen und trieben alle halbwegs kräftigen Männer zusammen – und auch solche, die es nicht waren – um sie in den Dienst der Infanterie ihrer Königlichen Majestät zu stellen. Selbst der Junge, der sich im Hospital um die Kohlen kümmerte und die Öfen befeuerte, war eingezogen worden.
    »Wann reisen Sie ab?«, fragte Eleanor, und als er es ihr sagte, traf die Bedeutung der Nachricht sie plötzlich wie ein Schlag. Wenn er England am übernächsten Tag verließ und bereits gegen den Befehl verstieß, in den Kasernen und Lagern zu bleiben, dann war dies ihr letztes Treffen, die letzten Minuten, die sie zusammen hatten, ehe er in Richtung Krim davonsegelte. Ungeachtet all dessen, was in den letzten Wochen zwischen ihnen vorgefallen war, und des Bandes, das zwischen ihnen entstanden sein mochte, würde sie ihn wahrscheinlich nie wiedersehen. Es war nicht nur der gefürchtete Krieg und die unleugbare Möglichkeit seines Todes, die sie in Angst versetzten, sondern ebenso das Wissen, das sie seit jener Nacht quälte, als sie seinen verletzten Arm versorgt hatte. Sie lebten in vollkommen unterschiedlichen Welten, und ohne diese ungewöhnliche Begegnung hätten sich ihre Wege nie gekreuzt. Wenn Sinclair nach einiger Zeit in der Ferne zurückkehrte, würde er vielleicht gar nicht mehr nach London kommen, sondern zum Landsitz seiner Familie in Wiltshire zurückkehren. Obwohl er stets sehr zurückhaltend gewesen war, was seine Herkunft anbelangte, hatte sie aus einigen Bemerkungen von Rutherford und Le Maitre genug erfahren, um beeindruckt zu sein. Doch selbst wenn er nach London zurückkehrte: Würde er sich tatsächlich wieder mit einer mittellosen Krankenschwester abgeben, anstatt mit den vornehmen Damen seiner eigenen gesellschaftlichen
Kreise? Manchmal, in ihren finstersten Stunden, wenn Moiras unruhiger Schlaf sie wach hielt, war sie überzeugt, dass dies nur ein kleines Abenteuer für ihn war. Würde es später immer noch so reizvoll für ihn sein, sich über alle praktischen Widerstände und Fragen des Anstandes hinwegzusetzen?
    Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte Sinclair: »Ich werde Ihnen so bald wie möglich schreiben.«
    Plötzlich sah Eleanor sich selbst, wie sie auf dem Stuhl neben dem rußbedeckten Fenster saß, mit einem Brief in der Hand, zerknittert und abgegriffen von der langen

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