Eisiges Blut
Reise übers Meer.
»Und ich werde Ihnen schreiben«, erwiderte sie. »Jeden Tag.«
Sinclair machte einen halben Schritt nach vorn, ebenso wie sie selbst, und dann lagen sie sich in den Armen. Eleanor presste ihre Wange gegen die rauen Goldlitzen, die seine Uniform schmückten. Er roch nach Schmutz und Schweiß und nach seinem geliebten Pferd, Ajax. Einmal hatte er sie in die Stallungen seines Regiments geführt und ihr gestattet, das Tier mit einer Handvoll Zucker zu füttern. Sie klammerte sich mehrere Minuten an ihn, und keiner von ihnen sagte ein Wort. Es war nicht nötig. Ihr Kuss schmeckte nach Bitternis und Abschied.
»Ich muss gehen«, sagte er und löste sich zärtlich von ihr.
Sie öffnete ihm die Tür und blickte ihm nach, wie er die Treppe hinabeilte, ohne sich noch einmal umzudrehen. Das Donnern seiner Stiefel hallte auf der Treppe wider. Wenn die Gelegenheit nur ein wenig günstiger gewesen wäre, dachte sie, wenn sie nur etwas mehr Zeit gehabt hätten! Wie sehr sie sich wünschte, er hätte sie noch einmal draußen in der Nachmittagssonne gesehen, mit ihrem neuen gelben Kleid.
19 . Kapitel 9 .Dezember, 17 : 00 Uhr
Wie nicht anders zu erwarten, drohte sich die Nachricht von der erstaunlichen Entdeckung unter Wasser wie ein Lauffeuer in der Station zu verbreiten. Murphy, der über Walkie-Talkie aus der Tauchhütte benachrichtigt wurde, ergriff sofort Gegenmaßnahmen. Michael hörte, wie er Calloway den Befehl zubellte, niemanden mehr aufs Eis oder in die Nähe der Hütte zu lassen. Außerdem befahl er allen, die sich in seiner Hörweite aufhielten, bis auf weiteres die Lippen zu versiegeln.
»Wartet, bis Danzig mit den Hunden bei euch ist«, sagte er, ehe er Schluss machte.
Bis der Eisblock auf dem Schlitten verstaut war, ließ Danzig die Hunde etwa fünfzig Meter abseits ausruhen. Die Huskys lagen im Schnee und Eis und beobachteten wachsam die Arbeiten.
»Himmel«, sagte Danzig, kletterte auf den Schlitten und bestaunte mit großen Augen die Frau im Eis. Langsam schritt er um den massiven Block herum, und Michael sah ihm an, dass er bereits überlegte, wie der Klotz sich am besten transportieren ließe.
»Leute«, sagte Calloway, »das hier ist die schrägste Sache, die ich je erlebt habe. Und ich kann euch sagen, dass ich schon eine Menge schräger Sachen erlebt habe.«
»Aber klar doch, Sherlock«, sagte Franklin, der bei diesem Tauchgang assistiert hatte.
Michael konnte kaum glauben, dass sie es geschafft hatten. Er hatte schnell die Tauchausrüstung abgelegt und den Anzug ausgezogen und sich in mehrere Lagen trockener Kleidung gehüllt. Während er an einem heißen Tee aus der Thermoskanne nippte, zitterte er hin und wieder. Er wusste, dass er unter einer leichten Unterkühlung litt, was nicht weiter verwunderlich war.
Lawson fragte Danzig, ob sie einen Spryte anfordern sollten, oder ob er glaube, die Hunde könnten den Block zurück ins Camp ziehen.
Danzig, der wie immer seinen Talisman aus Walrosszähnen um den Hals trug, legte eine riesige Hand auf das Eis und strich sich mit der anderen übers Kinn. »Sobald der Schlitten einmal fährt, schaffen wir es«, erklärte er. Es gab wenig, was Danzig seinen Hunden nicht zutraute, und er suchte stets nach neuen Wegen, um zu beweisen, dass die moderne Technik den bewährten, altmodischen Methoden nicht das Wasser reichen konnte, die auch für Roald Amundsen und Robert Falcon Scott gut genug gewesen waren.
Während Danzig die Hunde aus dem einen Schlittengeschirr ausspannte, um sie im anderen wieder einzuspannen, rieb sich Michael das Handgelenk, an dem das Wasser durch den Trockenanzug eingedrungen war. Es tat ähnlich weh wie eine üble Verstauchung. Franklin und Calloway gafften immer noch die Frau im Eis an, und als einer von ihnen lachte und eine Bemerkung über Dornröschen und einen Kuss machte, den sie nie vergessen würde, nahm er eine Plane vom Hundeschlitten und legte sie über den Eisblock. Franklin warf ihm einen merkwürdigen Blick zu, weil er die Show beendete. Als Michael die Plane mit ein paar Haken sicherte, warf Danzig ihm einen wissenden Blick zu. »Hat der Chief dir gesagt, wo er sie unterbringen will?«, fragte er. Er klang entfernt wie ein Bestattungsunternehmer, der einen Hinterbliebenen über die kürzlich Verstorbene befragte.
»Kein Wort.« Michael fand es merkwürdig, danach gefragt zu
werden. Schließlich war er kein Wissenschaftler, und noch nicht einmal einer der Hiwis. Er stand irgendwo dazwischen, hatte
Weitere Kostenlose Bücher