Eisiges Blut
Walrosszähnen ein Armband aus Knochen sowie Hosen, die er sich selbst aus Rentierfell genäht hatte. Michael musste an den Witz denken, den er von einer Singlefrau in Alaska gehört hatte, als er dort für einen Artikel recherchierte. »Die Gewinnquote ist gut«, hatte sie gesagt und die Männer an der Bar gemustert, »aber die Preise sind ein wenig sonderbar.«
Bevor er auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit in die Kantine ging, verzog er sich in den Raum mit dem Satellitentelefon und rief seinen Redakteur zu Hause an. Im Hintergrund hörte er die Fernsehübertragung eines Basketballspiels, aber als Gillespie hörte, dass es Michael war und keine Telefonwerbung, stellte er es sofort aus. »Alles in Ordnung? Geht’s dir gut?«
Michael wartete eine Sekunde, um voll auszukosten, was er ihm zu sagen hatte. »Mehr als gut. Sitzt du gerade?«
»Nein, und das habe ich auch nicht vor. Was ist los?«
Damit Gillespie nicht glaubte, er sei am Südpol durchgedreht, erzählte Michael so ruhig und bedächtig wie möglich, dass sie nicht nur eine Leiche, vielleicht sogar zwei, in einem Gletscher entdeckt, sondern sie auch geborgen hatten. Gillespie hatte die
ganze Zeit über geschwiegen, während Michael sprach, und jetzt blieb er ebenfalls still. Schließlich fragte Michael: »Bist du noch dran?«
»Und du machst keinen Witz?«
»Kein Witz.«
»Das stimmt wirklich?«
Michael hörte das Klingeln einer Mikrowelle.
»Absolut. Habe ich schon erwähnt, dass ich derjenige war, der die Leiche im Eis entdeckt hat?«
Es klang, als hätte Gillespie das Telefon auf eine Platte gelegt, und trotz der atmosphärischen Störungen hörte Michael gedämpft eine Reihe von Freudenschreien und Gebrüll. Als Gillespie den Hörer wieder aufhob, sagte er: »O mein Gott. Das ist phänomenal. Und du hast Fotos?«
»Ja, und ich werde noch mehr bekommen.«
»Michael, ich sag dir, wenn das stimmt … «
»Es stimmt,« versicherte Michael ihm. »Ich habe das Mädchen mit eigenen Augen gesehen.«
»Mit der Story gewinnen wir den National Magazine Award. Wenn wir das richtig anpacken, können wir unsere Abonnentenzahlen verdreifachen. Du könntest in Talkshows auftreten. Du könntest einen Buchvertrag bekommen, und vielleicht sogar die Filmrechte.«
Eine Minute lang machte er so weiter, während die Verbindung gelegentlich unterbrochen wurde und Michael geduldig warten musste, bis sie wieder stand. Schließlich erklärte er, dass das Telefon nur wenige Stunden am Tag betriebsbereit sei und dass bereits der Nächste warte, und Gillespie entließ ihn aus dem Gespräch. Er klang, als bräuchte er ohnehin einen kräftigen Drink. Michael dagegen würde umkippen, wenn er nicht sofort etwas zu essen bekäme.
In der Kantine füllte er sich den Teller mit dampfendem Chili con Carne, nahm sich etwas Maisbrot und setzte sich zu Charlotte
Barnes. Sie nickte anerkennend auf seinen Teller und sagte: »Zum Nachtisch gibt es heißes Kirschkompott.«
»Später vielleicht«, erwiderte er und haute endlich rein. »Ich habe Darryl noch gar nicht gesehen. Ich hoffe, er schmollt nicht, weil du ihm nicht erlaubt hast zu tauchen.«
»Nein, ich glaube, da ist er ziemlich schnell drüber weggekommen. Er hat sich in seinem Labor verkrochen.«
Michael nahm ein Stück Brot, tunkte es ins Chili und schob es sich in den Mund.
»Es ist lobenswert, dass du deine Körpertemperatur in die Höhe treiben willst«, bemerkte Charlotte, »aber ich habe keine Lust, den Heimlich-Handgriff anzuwenden. Das ist ziemlich unappetitlich.«
Michael kaute langsamer, und als er fertig war und den Bissen heruntergeschluckt hatte, fragte er beiläufig: »Hast du schon von dem Tauchgang heute gehört?« Er war nicht sicher, ob Murphy sie schon in den Kreis der Eingeweihten aufgenommen hatte, und wollte nichts ausplaudern.
Charlotte nippte an ihrem Kaffee und nickte. »Murphy fand, dass ich als leitende Ärztin Bescheid wissen sollte. Über alles.«
»Gott sei Dank«, sagte Michael erleichtert, »aber ich glaube nicht, dass du noch viel für sie tun kannst.«
»Er hat sich auch weniger Sorgen um sie als um dich gemacht. Er hatte Angst, dass du vielleicht mit mir darüber reden wolltest, und dass ich auf die Idee käme, du wärst völlig durchgeknallt.«
»Bin ich nicht«, sagte Michael, und Charlotte zuckte die Achseln.
»Es ist noch zu früh, um das sagen zu können. Aber glaubst du immer noch, dass es zwei sind? Eine vorn, eine hinten?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen.
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