Eisiges Feuer (German Edition)
solche Schönheit bei Männern, da es sich meist entweder um eitle, nur auf Äußerlichkeiten bedachte Dummköpfe handelte, die allenfalls durch die Zahl ihrer Bettabenteuer auffielen, oder um weichliche Jungen, die niemals wirklich erwachsen zu werden schienen. Im besten Fall besaßen sie Köpfchen, worauf man sich allerdings nicht verlassen konnte. Dieser junge Mann hier schien zu der seltenen Sorte zu gehören, die sowohl Geist als auch Mut besaßen. Trotz seiner offensichtlichen Angst blickte er geradewegs zu Kirian auf, studierte ruhig das Gesicht des Mannes, der über sein Leben und Schicksal entscheiden würde. Kein Trotz, keine Wut – was war in diesem Blick verborgen? Kirian blieb bei seiner Entscheidung. Roban wäre nur mit äußerster Gewalt zu brechen, oder indem man ihn bei der Folterung des Jüngeren zusehen ließ. Beides kam nicht infrage. Lyskir hingegen würde sich vermutlich bei der richtigen Art von Bedrohung beugen. Wenn nicht, nun, dann würden Kirians Fragen wohl ärgerlicherweise keine Antwort finden.
„Sperrt ihn ins Loch“, sagte er und wies mit dem Kinn in Robans Richtung. „Der Kleine kommt zu mir.“
„NEIN!“, brüllte Roban und begann unvermittelt, wie ein tollwütiger Wolf gegen seine Bewacher zu kämpfen. „Rührt ihn nicht an! Nehmt mich! NEIN!“ Trotz seiner auf den Rücken gefesselten Hände schaffte er es, sich den Räubern zu entwinden und einem der Männer in den Unterleib zu treten.
Kirian bewegte sich schnell: Plötzlich umklammerte er Roban von hinten mit eisernem Griff und presste ihm seinen Säbel an die Kehle.
„Bindet ihm die Augen“, befahl Kirian knapp, und dann, zu Roban gewandt: „Dein Bruder wird für jeglichen Fehltritt zahlen, den du dir leistet, verstanden?“ Das wütende Feuer in Roban erlosch augenblicklich, er ließ sich ohne Widerstand zu Boden zwingen. „Alles wird gut, Lys“, rief er, als man ihn fortbrachte.
Lys war während des Ausbruchs seines Bruders still geblieben. Jetzt starrte er ihm hinterher, das Gesicht von Angst verzerrt.
„Du wirst ihn lebendig wieder sehen, wenn du mir keine Schwierigkeiten machst“, sagte Kirian. Lys nickte, schaffte es aber erst nach zwei Anläufen, seine Panik hinter einer Maske eisern beherrschter Gleichgültigkeit zu verstecken. Kirian zwinkerte Albor heimlich zu. Das hier versprach ein vergnüglicher Nachmittag zu werden!
Lys sank auf den Stuhl, den der Sheruk ihm zuwies. Offensichtlich hausten die Räuber schon sehr lange hier: Die Hütte war behaglich eingerichtet, es gab Spuren von Abnutzung, die erst im Laufe vieler Jahre entstehen konnten. Der Räuber warf sich lässig auf das Bett an der Kopfwand nieder und stützte sich seitlich auf dem linken Arm auf. Sein Hemd stand ein wenig offen, gerade genug, dass man seinen muskulösen Oberkörper erkennen konnte. Ein Mann, der sich seiner Kraft und Macht bewusst war, gefährlich wie ein Raubtier – und ebenso sinnlich. Lys musste den Blick von ihm abwenden, um nicht zu erröten. Was war denn nur los mit ihm? Der Sheruk war gewiss doppelt so alt wie er selbst, er würde ihn vermutlich gleich foltern, vielleicht auch töten. Wie konnte er einen solchen Verbrecher als anziehend empfinden?
„Mein Name ist Kirian“, erklang die tiefe Stimme, die in Lys’ Innerem nachvibrierte. „So hieß ich nicht immer, und man hat mir schon viele andere Namen gegeben. Wie du mich nennst, ist mir egal.“
Lys zuckte zusammen, als der andere Mann mit dem dunklen Bart und der grausigen Narbe um ihn herum schritt und seinen Dolch dabei zog.
„Ich weiß, wer du bist, ich kenne das Wappen der Corlin. Sag mir, was du mit deinem Bruder so weit weg von zuhause getrieben hast.“
Lys leckte sich nervös über die Lippen, schaffte es aber, ruhig sitzen zu bleiben und den Blick auf den Boden gerichtet zu halten. Denk an irgendetwas, egal was, nur nicht an die Gefahr, hörte er Robans Stimme im Hinterkopf. Roban, der bereits einmal in Feindeshand gefallen und nach Hause gekommen war, ohne sein Wissen preiszugeben. Damals war er kaum neunzehn Jahre alt gewesen! Roban, der in irgendeinem Loch festsaß und ihm nicht helfen würde. Lys versuchte, sich auf seine Stiefel zu konzentrieren, auf die Risse im Holz. Doch er konnte die Dolchspitze, die langsam über seinen Rücken strich, nicht ausblenden. Sie drang nicht durch sein weißes Leinenhemd, blieb nur eine Drohung. Dennoch, er zweifelte nicht, dass der Mann hinter ihm geschickt genug war, ihm so in die Haut zu ritzen, dass es
Weitere Kostenlose Bücher