Eisiges Feuer (German Edition)
nun nicht mehr. Wahrscheinlich niemals wieder. Seine verkrüppelte linke Hand war nur eines der Probleme, er litt an beständigen Schmerzen in allen Muskeln und Gliedern. Viele seiner Narben hatten Verwachsungen gebildet, er konnte sich zwar bewegen, arbeiten, in der Nähe des Lagers Wache stehen, aber alles fiel ihm so viel schwerer als früher. Als hätte man ihm dreißig Jahre seines Lebens geraubt und innerhalb eines Mondes einen alten Mann aus ihm gemacht.
„Komm runter und sprich mit mir, statt zu grübeln“, verlangte er, als Kirian aufblickte. Ohne Widerspruch gehorchte der, sprang leichtfüßig zu ihm herab. Allein das gab Anlass zur Sorge; Kirian war nicht zum Gehorsam geboren.
„Himmelsvater vergib, was die Liebe aus einem Mann alles macht“, knurrte Albor kopfschüttelnd. „Geh mit ihm. Die Jungs und ich kommen hier klar, auch mit der Frau und dem Kind. Wir halten uns bedeckt mit Überfällen und so, bis du wiederkommst. Wenn uns die Vorräte ausgehen, passen wir auf – nicht zu gierig, nicht zweimal die gleiche Stelle, wir können das. Auch ohne dich.“
Kirian verschränkte die Arme und schwieg, mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ich mein das ernst. Geh mit ihm und hol das Weib zurück, hilf ihm, sein Spiel zu gewinnen. Wenn du dabei draufgehst, nun, deine Legende wird weiterleben, und alle Sheruks müssen irgendwann sterben, eh? Wenn du ihn allein schickst und dem Jungen passiert was, wirst du nie mehr froh, und dann taugst du auch nichts mehr für uns.“
Kirian boxte ihm gegen die Schulter und grinste müde. „War schon gut, dass Lys dich befreit hat, Albor. Was würde ich ohne dich machen?“
„Grübeln, bis du vom Dach fällst.“ Sie umarmten sich brüderlich, dann klopfte Kirian ihm auf den Rücken.
„Geh schlafen. Morgen ist ein neuer Tag.“
Und so schliefen in dieser Nacht alle Bewohner des Waldlagers in sorgen- wie hoffnungsvoller Spannung, was der Morgen Neues bringen würde …
22.
Lys erwachte von leisem Schnarchen direkt neben seinem Ohr. Er blinzelte über die Schulter und musste einfach lächeln: Kirian lag tief schlafend neben ihm auf dem Rücken, einen Arm auf der Stirn. Langsam drehte Lys sich um, darauf bedacht, seinen Liebsten nicht zu wecken. Doch der fuhr bei der Bewegung zusammen und blickte verschlafen zu ihm auf.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht stören“, flüsterte Lys.
„Zu spät. Ich habe keine Ruhe mehr gefunden, seit Albor dich das erste Mal hierher geschleppt hat.“
„Na gut, also ist Albor an allem Schuld und ich bin fein raus.“ Lys raffte sich mühsam hoch. „Du wirst jetzt aber wieder Ruhe vor mir haben.“
„Das glaubst auch nur du.“ Kirian sammelte die Decken und anderen Sachen ein. „Ich komme mit dir.“
„Du wirst hier gebraucht.“
„Vergiss es. Albor, ja genau, der schon wieder, hat festgestellt, dass die Jungs wunderbar ohne mich zurechtkommen. Du hingegen versuchst dich mit aller Kraft selbst umzubringen. Ich komme mit.“
Lys starrte ihn an, sah die eiserne Entschlossenheit und seufzte ergeben. „Ich bin zu müde zum Streiten. Und die Götter wissen, ich will dich gerne dabei haben, denn alleine werde ich vermutlich nicht einmal in die Nähe des Ziels gelangen. Aber ich habe Angst um dich. Wenn dir etwas zustößt …“
„… dann ist es so.“ Kirian küsste ihn schwungvoll und griff dann nach dem Seil. „Schaffst du’s, oder soll ich dich hochziehen?“
„Ich bin kein Wickelkind“, knurrte Lys und folgte ihm rasch, egal, wie sehr seine Muskeln schmerzten.
Alle warteten schon auf sie, auch Anniz war aus der Hütte gekommen, mit dem Kind im Arm.
Nun sieh nur, dachte sie, als sie die beiden Männer nebeneinander erblickte. Nun sieh nur, wie die beiden zusammengehören wie Blitz und Donner … so verschieden und doch so gleich! Sie versuchte zu verstehen, was sie da wirklich sah. Das Feuer, das von Kirian ausstrahlte, die Glut, die in Lys zu spüren war, und die stählerne Härte, die beide Männer besaßen – sie erschauderte angesichts dieser Kraft.
„Na, ausgeschlafen?“ Albor warf Kirian zwei Bündel zu. „Hab schon mal für euch beide gepackt. Sieh nach, ob was fehlt.“
Lys achtete nicht auf die Männer, er trat zu Anniz und nahm ihr seinen Sohn ab. Der Junge sah sich mit dem leicht silbrigen Blick der Neugeborenen die Welt an und saugte dabei zufrieden an seiner winzigen Faust.
„Leb wohl“, flüsterte Lys ihm zu, nahm sich einen langen Augenblick des Abschieds. Dann legte er das
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