Eisiges Feuer (German Edition)
zurückbleiben, der Weiße war schlicht zu langsam und zu auffällig, und Kirian hatte kein eigenes Pferd.
Anniz betrachtete ihren Schützling, der langsam wieder schläfrig wurde. Elyne. Lyskir.
Schulterzuckend küsste sie ihm auf beide Wangen und: „Erbe von Corlin und Lichterfels, dein Name sei Lynn. Und wem das nicht passt, soll was Bessres sagen.“
23.
Die ersten Stunden wanderten sie schweigend, beide in Gedanken versunken. Irgendwann aber fiel Kirian auf, dass, obwohl er die Führung übernahm, Lys ihn zu einem recht hohen Tempo zwang. Er versuchte langsamer zu werden, doch schon bald eilten sie wieder beide mit raumgreifenden Schritten dahin. Es schien sich einfach zu ergeben, als wäre es leichter, sich so schnell zu bewegen. Sie wollten auf eine Stadt in der Umgebung zuhalten, dort Pferde kaufen und dann nach Sorala ziehen. Die Grafschaft lag in unmittelbarer Nähe. Kirian war sich nicht sicher, ob Lys vielleicht auch deswegen bei ihm Unterschlupf gesucht hatte. Man konnte bei diesem Mann einfach nie wissen, wie viel Berechnung in seinen Taten steckte! Ob Elyne wirklich dort gefangen gehalten wurde, wussten sie nicht, aber es war die einzige Spur, die sie hatten.
„Glaubst du, man wird ihr etwas antun?“, fragte Lys irgendwann, um die Stille zu durchbrechen. Er war bleich, hielt sich aber aufrecht und bestimmte weiterhin die Geschwindigkeit.
„Elyne? Nein. Solange man glaubt, dass du lebst, wird man sie gut behandeln müssen. Du musst mindestens drei Monde verschollen sein, bevor man dich für tot erklären darf.“
„Ich weiß. Und sobald ich offiziell als tot gelte, wird man Elyne zwangsverheiraten. Ich meinte, ob es sicher ist, dass man ihr nichts antut. Gar nichts, eben.“
„Davon gehe ich aus“, brummte Kirian. „Es sei denn, dein Feind ist ein Narr. Ein kluger Taktiker rechnet damit, dass du ihn besiegen könntest. Je schlechter er Elyne behandelt hat, desto härter in diesem Fall fällt deine Rache aus.“
Sie mussten den Schutz der Bäume verlassen und eine Weile lang der Straße folgen, da das umliegende Gelände zu morastig war, um dort wandern zu können. Die Kapuzen hielten sie tief ins Gesicht gezogen, Lys legte nun noch mehr Tempo vor.
„Du solltest es langsamer angehen, Kleiner“, sagte Kirian bedächtig.
„Wozu? Mir geht es gut, der Weg ist noch lang. Je schneller wir vorwärtskommen, umso besser ist es doch, oder?“
„Dir geht es nicht gut, Lys. Du brauchst mir nichts zu beweisen.“
Der junge Mann ballte die Fäuste, schluckte seinen Ärger aber herunter.
„Es gibt nichts zu beweisen. Ich habe letzte Nacht gut geschlafen, und ich werde diese Nacht schlafen.“
„Lys …“, begann Kirian, aber er wurde sofort unterbrochen.
„Tu mir das nicht an! Bemuttere mich nicht, diese Rolle passt nicht zu dir. Ich kann auf mich selbst aufpassen.“
„Natürlich kannst du das. Ich glaub dir gerne, dass du keine Lust mehr hast, ewig verletzt und geschwächt zu sein. Das Problem ist, du wirst verletzt, weil du so stark bist. Du präsentierst dich als Zielscheibe für all deine Feinde und vergisst in Deckung zu gehen.“
Lys schnaubte verächtlich, erwiderte jedoch nichts.
„Geh es langsamer an. Du liebst Elyne nicht. Ich auch nicht, obwohl sie meine Schwester ist. Wir beide suchen aus Pflichtgefühl nach ihr. Glaub einem alten Mann: Die Tage, in denen du unbegrenzte Kraft zu haben scheinst und es nichts ausmacht, wenn du dich mal überanstrengst, sie gehen schnell vorbei. Du bist jung, aber nicht mehr jung genug, um dich ständig schadlos verausgaben zu können.“
Noch immer schwieg Lys, auf dumpf brütende Weise, doch er verlangsamte seinen Schritt etwas.
„Ich hasse es, schwach zu sein“, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Dann geh besser mit dir selbst um, spare die Kraft, die du hast.“
Das gedämpfte Klappern zahlreicher Hufe schreckte sie auf. Kirian fluchte – sie hatten nicht auf ihre Umgebung geachtet. Es gab keine Möglichkeit zur Flucht oder Unterschlupf, der Waldrand war viel zu weit entfernt, das Gelände flach, die Straße hinter ihnen gerade. Die Felswand neben ihnen war zu hoch und zu glatt. Sie würden sich dem stellen müssen, was da auf sie zukam, noch von einer Straßenkehre verdeckt. Lys war dies ebenfalls bewusst, wie er erkannte, der junge Mann starrte angespannt nach vorne und wartete. Zwar hatte er noch immer die Kapuze seines Umhangs über den Kopf gezogen, doch das würde
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