Eisiges Feuer (German Edition)
doch nur, irgendwie herauszukommen und Elyne zu retten. Ihr Götter, liegt das an mir, dass du ständig halb oder auch gänzlich ohnmächtig am Boden liegst, oder hattest du die Angewohnheit schon immer?“
Lys ließ sich füttern wie ein kleines Kind, zu matt, um sich wehren zu können. Er sagte nichts, aber in seinem Blick spiegelte sich all die Dankbarkeit und Erleichterung, die auch Kirian fühlte. Schon nach wenigen Bissen fielen ihm die Augen zu, und Kirian zog ihn wieder an sich, hielt ihn fest, auch als Lys längst tief eingeschlafen war. Das langsam und ruhig schlagende Herz unter seiner Hand mahnte Kirian, wie zerbrechlich ein Menschenleben war, wie leicht man verlor, was man liebte. Er konnte sich einfach nicht lösen, und so blieb er bei Lys, um zu spüren, wie dieser Mann atmete und lebendig war.
Anniz schrak zusammen, als es an der Tür klopfte und der hagere Kerl mit der Narbe wiederkam, die Arme vollgeladen mit allen möglichen Dingen.
„Ich habe dir was mitgebracht, was man halt so braucht“, brummte er.
„Wo ist mein Herr? Habt ihr ihm was getan?“ Sie klopfte dem Kind, das sie gerade gestillt hatte, unentwegt den Rücken.
„Nein. Er lebt, und das bleibt so, wir haben’s entschieden. Er schläft jetzt, du siehst ihn morgen.“ Der Narbige legte eine Decke in einen Weidenkorb. „Hier, für den kleinen Prinzen zum Schlafen. Was Besseres haben wir nich’.“
„Er ist kein Prinz“, versetzte Anniz ungeduldig. „Kann ich den Herrn nicht kurz sehen, nur einen Moment?“
„Geht nicht.“ Der Mann errötete leicht, beugte sich hastig über all die Tücher, Tiegel und Gebrauchsgegenstände, die er mitgebracht hatte. Anerkennend sah sie, dass er sich offenbar sehr genau mit den Bedürfnissen von stillenden Frauen auskannte.
„Ist er bei diesem Kirian?“
Der Räuber errötete noch mehr und nickte.
„Das dachte ich mir“, murmelte sie. „Wir sind neun Tage und Nächte auf einem Pferd gesessen, na ja, mit Ruhepausen, Schenkel an Schenkel, wenn du verstehst, was ich meine. So viel Platz ist auf so ’nem Ding ja nicht. Ich hab an seiner Schulter geschlafen und er ist mehr als einmal an meinen Rücken gelehnt eingeschlafen. Er hat mich auf Händen getragen, mir nachts den Kleinen an die Brust gelegt, wenn ich zu zerschlagen war, mich zu rühren. Pferde sind elende Biester, sag ich dir. Und nicht einmal, nicht ein einziges Mal war er anders als ein Bruder zu mir. Ein kleiner Bruder, wenn du verstehst, er ist ja doch viel jünger als ich. Hätt’ ich sehr früh angefangen, er könnte mein Sohn sein.“ Sie musterte den Räuber scharf. „Also, dachte ich, entweder bin ich so alt und hässlich, dass sich bei dem nichts regt, oder er mag keine Frauen. Er hat mich aber nicht so angesehen, als wäre ich hässlich. Oder unter seiner Würde, so als Fürst und so. Er war wie ein Bruder zu mir, freundlich und beschützend, aber fern von lustvollen Dingen.“
Warum erzähl ich das eigentlich einem fremden Verbrecher?, dachte sie verwirrt.
Der Narbige hustete verlegen und fuhr sich durch den dichten Vollbart.
„Nja, hm, nein, hässlich bist du nicht … Dein Herr hat es wohl wirklich gar nicht mit deiner Art. Die Ehe bekommt ihm nich’ gut, auch, wenn er das keinem zeigt. Also, ich bring dir gleich noch was Essen. Wenn du was brauchst, meine Hütte ist direkt nebenan.“
„Und die hier? Nehme ich jemandem etwas weg?“, fragte Anniz. Hier drin war es zwar recht staubig, aber man konnte sehen, dass die Hütte bis vor einiger Zeit bewohnt gewesen war.
„Nee. Die hat Bille gehört. Ein Freund. Er ist tot. Hm, ich geh dann mal, ja?“
Anniz bettete das schlafende Kind in den Korb und legte sich selbst hin, um auszuruhen. Der Weg hierher war anstrengend gewesen, sie war froh, dass es nun vorbei war. Ihr Herr schien vorerst außer Gefahr zu sein, und bis jetzt waren die Räuber nicht unfreundlich gewesen. Dieser Narbige, er hatte etwas Rührendes an sich …
Als Albor ins Freie trat, sah er die Silhouette des Sheruk auf dem Dach seiner Hütte, in Richtung Sonnenuntergang gewandt, den er von seinem Platz aus zwischen den Bäumen beobachten konnte. Dort oben fand man Kirian nur, wenn er über schwerwiegende Dinge nachdenken musste, was nicht allzu häufig vorkam – er war seit jeher ein eher impulsiver Mann. Albor wusste, was Kirian bewegte und warf einen kleinen Zweig nach ihm, um seine Aufmerksamkeit zu wecken. Noch vor einigen Monden wäre er selbst dort hoch geklettert, das konnte er
Weitere Kostenlose Bücher