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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Richtung Süden konnte Cardinal an nichts anderes denken als an Catherine. Andererseits war
denken
nicht das richtige Wort. Er spürte ihre Abwesenheit in der Schönheit der Landschaft. Er hatte das Gefühl, als schwebte sie über dem Highway, über der Straße, die ihn immer zu Catherine oder von ihr fort geführt hatte. Aber diesmal hatte sie ihm nicht zum Abschied gewinkt, und sie würde ihn nicht an der Tür begrüßen, wenn er zurückkehrte.
    Kelly fummelte am Radio herum.
    »Hey, dreh noch mal zurück«, sagte Cardinal. »Das waren die Beatles!«
    »Ich kann die Beatles nicht ausstehen.«
    »Wie kann ein Mensch was gegen die Beatles haben? Das ist, als könnte man die Sonne nicht leiden, oder Vanilleeis.«
    »Es sind nur ihre frühen Stücke, die ich nicht ausstehen kann. Da klingen sie wie Aufziehpuppen.«
    Cardinal schaute sie aus dem Augenwinkel an. Mit ihren siebenundzwanzig Jahren war seine Tochter älter, als Catherine bei Kellys Geburt gewesen war. Cardinal erkundigte sich nach ihrem Leben in New York.
    Eine Weile berichtete Kelly ihm davon, wie frustrierend es war, sich in New York als Künstlerin durchzuschlagen, wie schwer es war, in New York Fuß zu fassen. Kelly musste sich eine Wohnung mit drei Frauen teilen, mit denen sie sich nicht immer gut verstand. Und sie war gezwungen, in zwei Jobs zu arbeiten, um über die Runden zu kommen: bei einem Maler namens Klaus Meier, für den sie Leinwände auf Rahmen spannte und die Buchführung machte, und an drei Abenden in der Woche als Kellnerin in einer Kneipe. Da blieb ihr nicht viel Zeit für ihre eigene Malerei.
    »Und bei all dem Stress sehnst du dich nie nach dem Leben hier zurück? Nach der kleinstädtischen Ruhe?«
    »Nein, nie. Aber manchmal vermisse ich Kanada. Es ist nicht leicht, sich mit Amerikanern anzufreunden.«
    »Wieso?«
    »Amerikaner sind die freundlichsten Menschen auf der Welt, zumindest nach außen hin. Anfangs war ich davon sehr angetan – sie sind viel aufgeschlossener als Kanadier. Und sie haben keine Hemmungen, sich zu amüsieren.«
    »Das stimmt. Kanadier sind reservierter.«
    Ich agiere, dachte Cardinal. Ich führe kein Gespräch, sondern
agiere
wie ein Mann, der ein Gespräch führt. Es funktioniert folgendermaßen: Man hört zu, man nickt, man stellt eine Frage. Aber ich bin nicht da. Ich bin ebenso verschwunden wie das World Trade Center. Mein Herz ist Ground Zero. Am liebsten hätte er mit Catherine darüber geredet. Aber Catherine war nicht da.
    Er hatte Mühe, sich auf Kelly zu konzentrieren.
    »Irgendwann haben die Amerikaner eine Art falsche Vertrautheit erfunden«, sagte Kelly gerade. »Wenn man ihnen das erste Mal begegnet, erzählen sie einem freimütig von ihrer Scheidung oder davon, wie sie als Kinder missbraucht wurden. Kein Witz. Ein Typ hat mir mal gesagt, sein Vater hätte ihn ›inzestiert‹, wie er sich ausdrückte. Das war bei unserem allerersten Treffen. Anfangs dachte ich, die Leute würden sich einem wirklich anvertrauen, aber das tun sie gar nicht. Die haben einfach kein Gefühl für Umgangsformen. Warum grinst du?«
    »Es amüsiert mich, dich über Umgangsformen reden zu hören. So unkonventionell wie du bist.«
    »Im Grunde genommen bin ich total konventionell. Und ich fürchte, dass das noch mal meinen Untergang als Künstlerin bedeuten wird. Gott, sieh dir diese Bäume an.«
    Die Fahrt nach Toronto dauerte vier Stunden. Cardinal setzte Kelly an einem Starbucks Café in der College Street ab, wo sie sich mit einer alten Freundin verabredet hatte, dann begab er sich zum Forensic Centre an der Grenville Street.
     
    In architektonischer Hinsicht ist das Forensic Centre absolut uninteressant. Es ist einfach ein Riesenklotz wie die meisten Regierungsgebäude, die in einer Ära hochgezogen wurden, als nur noch mit Beton gebaut wurde anstatt mit Backsteinen. In den mit graumeliertem Teppichboden ausgelegten Innenräumen gerät man in ein Labyrinth aus altweiß gestrichenen Trennwänden mit sarkastischen Comics, die die Leute sich aus Zeitungen ausgeschnitten und über ihre Schreibtische geheftet haben.
    Cardinal war schon häufig hier gewesen, wenn auch nicht in der Abteilung für Beweismittelsichtung, und dass ihm alles so vertraut vorkam, brachte ihn beinahe aus der Fassung. Ermachte die schlimmsten Höllenqualen seines Lebens durch; alles müsste eigentlich verändert sein. Doch die Wachleute, der rumpelnde Aufzug, die gesichtslosen Büros, die Schreibtische, Diagramme und Aushänge waren genauso, wie sie

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