Eiskalt Entflammt
sonderbaren Anfälle, die sie hatte, weil sie ihre Gabe noch nicht kontrollieren konnte, taten ihr Übriges, um den belastenden Eindruck , den andere von ihr hatten, noch zu erhärten.
Damals schon war ihr klar geworden, dass es besser für sie war, wenn sie allein leben würde. Am Ende ein er langen Karriere als Pflegekind landete sie über Umwege bei Parker Simmons. Er war das Beste gewesen, was ihr mit ihren fünfzehn Jahren passieren konnte.
Die Ämter wussten nicht mehr , wohin mit ihr , und der Kriegsveteran kam ihnen gerade r echt. Gemeinsam mit seiner Schwester lebte er auf einem kleinen Hof in Iowa. Für seine Wehrdienste war er mehrfach ausgezeichnet worden, aber er hatte hart dafür bezahlt. Seit einem Einsatz im Irak saß er im Rollstuhl und lebte zurückgezogen auf dem Land. Da er sich weigerte , Pflegepersonal anzustellen, kam seine Schwester auf die Idee, sich ein Pflegekind ins Haus zu holen. Als Lou bei den älteren Herrschaften ankam, war es ihr ganz recht gewesen, möglichst wenig Beachtung zu bekommen.
Die ersten Wochen redeten sie kein Wort miteinander. Sie bekam ein Zimmer, etwas zu essen und hatte ihre Ruhe. Sie fing schon an , Fluchtpläne zu schmieden, doch dann ereignete sich etwas Seltsames.
Sie hatte damals schon Probleme zu schlafen und saß nachts immer auf dem Dach des Hauses und betrachtete die Sterne. Bis ihr auffiel, dass der alte Parker die nächtlichen Stunden ebenso auf der Veranda verbrachte. So saßen sie ein paar Nächte getrennt voneinander da, bis er sie ansprach.
Man hatte ihm gesagt, dass sie unter psychischem Hospitalismus leide, auch Deprivationssyndrom genannt. Er erklärte ihr, dass „deprivare“ aus dem Lateinischen stammte und bedeutete, dass einem die Zuwendung geraubt wurde. Des Weiteren hatten sie ihr eine Anpassungsstörung diagnostiziert – mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens. Sie sei eine Außenseiterin, introvertiert , aber unterschwellig aggressiv.
Sie hatte sich das alles schon oft von Therapeuten sagen lassen müssen, aber wie der alte Parker mit ihr sprach, machte sie neugierig. Er schien das nicht weiter zu bewerten oder ihr einen Strick daraus zu drehen, er sinnierte einfach darüber.
In dieser Nacht kletterte sie langsam zu ihm hinunter auf die Veranda und setzte sich in sicherem Abstand neben ihn. Ihr war schon damals klar, dass er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt, ausgelöst durch die Erfahrungen , die er im Krieg gesammelt hatte.
Beide fühlten sich vom a nderen nicht gewertet oder bemitleidet. Es war eine nüchterne Kenntnisnahme. Sie wurde zum ersten Mal nicht stigmatisiert, sondern hatte den Eindruck , normal behandelt zu werden. Diesem Gespräch folgten viele weitere und Parker wurde zu ihrem einzigen Vertrauten. Er brachte ihr vieles bei, unter anderem Latein, aber auch alles, was er über Waffen und Nahkampf wusste.
Obwohl sie in der absoluten Einöde hausten, triggerte Parker nachts häufig, ein kleines Geräusch , oder ein bestimmter Geruch reichte aus , und schon waren alle vergangenen Gespenster wieder da.
Sie fühlte sich ihm stark verbunden, beide hatten Dämonen in ihrer Seele, die sie gern auslöschen wollten. Damals wurde ihr klar, dass Parker sein Trauma als extremen Kontrollverlust empfand und es deshalb umso wichtiger war, ihm nun seine kontrollierte Fassade zu lassen. Er war ihr ein großartiger Freund und Lehrer gewesen , und als er starb, hatte sie an seinem Grab um die beste Familie getrauert, die sie jemals aufgenommen hatte.
Die Erinnerung an Parker erhärtete Lous Blick. Anscheinend konnte sie sich nur gegenüber Menschen öffnen, die mit erheblichen Problemen zu kämpfen hatten.
Da war sie, die Parallele. Kontrollverlust. Ging es Elias ebenso? Auch für ihn schien eine Fassade überlebenswichtig. Und für sie selbst?
Und wenn schon, es war eine leidenschaftliche Nacht gewesen, mehr nicht. Entschlossen schob sie die Gedanken fort und setzte den Helm auf, aber ihre Hände wollten nicht aufhören zu zittern. Elias legte mit dem Jeep eine schnelle Geschwindigkeit vor, aber von ihr aus hätten sie noch schneller über die Landstraßen jagen können. Sie bereute nichts. Ihr einziger Wunsch war, dass sie ihre kühle Fassade schnell wieder finden würde. Einen Schutzwall gegen alle Gefühle, die in ihr kämpften.
Nach einer knappen Stunde Fahrt hielt Elias an einem kleinen Diner, in einer kleinen Stadt namens Lakewood Township. Als Lou ihre Maschine parkte und den Helm abnahm, konnte
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