Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
überzeugen.
»Wo war Rob Winters an dem Abend, als sie verschwanden?«
»Er hatte Spätschicht. Gegen halb zwei hätte er nach Hause kommen und ihr Verschwinden bemerken müssen. Er hat sie aber erst am folgenden Morgen als vermisst gemeldet – so gegen sieben, halb acht. Steht alles in der Akte. Oder stand, zumindest.« Er unterbrach sich, als Sharlene mit einem Tablett mit Kaffee und duftendem Streuselkuchen eintrat. »Danke, Schatz«, sagte Farrell zu seiner Frau.
»Gern geschehen.« Ihre Augen funkelten und beschworen in Steven die Vorstellung eines weiblichen Weihnachtsmanns herauf.
»Wie ich höre, sind Sie berühmt für Ihren Süßkartoffelauflauf«, bemerkte Steven und nahm den Teller entgegen, den sie ihm reichte. »Ich hatte gehofft herauszufinden, ob Ihr Sohn tatsächlich so wahrheitsliebend ist, wie er immer tut.«
Sharlenes Kichern klang mädchenhaft. »Ach, du meine Güte. Ich kann doch nicht schon vor Mittag Süßkartoffelauflauf auftischen. Nein, Sir, das gehört sich einfach nicht. Wenn Sie meinen Auflauf kosten wollen, müssen Sie eben noch einmal wiederkommen, nicht wahr?« Die Decke landete wieder auf den Knien ihres Mannes und wurde ebenso schnell wieder zu Boden befördert. »Redet ihr nur, solange ihr wollt, und ruft einfach, wenn ihr was braucht.« An der Tür drehte sie sich um und zwinkerte Steven zu. »Das mit der Decke macht sie nur, um Sie zu ärgern«, bemerkte Steven.
»Natürlich.« Farrell lächelte liebevoll in Richtung der Tür, durch die sie verschwunden war. »Im vergangenen Dezember waren es fünfzig Jahre, die ich mit dieser Frau zusammen bin. Hab nicht ein einziges Mal die Hand gegen sie erhoben.« Sein Lächeln trübte sich. »Und hab sie auch nie betrogen.«
Steven lehnte sich in dem Sessel zurück und griff nach der Kuchengabel. »Aber Rob Winters hat seine Frau betrogen.«
Farrells faltiges Gesicht wurde streng. »Ich fand es zum Kotzen. Nicht mal so sehr die Tatsache, dass er was mit der Nachbarin hatte – Männer gehen nun mal fremd. Das passiert, wenn auch entschieden zu oft. Nein, was ich total zum Kotzen fand, war die Einstellung der Männer auf dem Revier. Seine Frau war eine ›Heulsuse‹. Sie konnte ›seine Bedürfnisse nicht befriedigen‹.« Er unterstrich die Worte mit heftigen Gesten. »Das machte seine Affäre akzeptabel. Akzeptabel.« Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Und deswegen, so sagte er, sei er erst um sieben Uhr am folgenden Morgen nach Hause gekommen. Dann habe er festgestellt, dass Frau und Kind nicht da waren. Er war angeblich bei dem Flittchen nebenan.«
»Holly Rupert. Ihr Name war in der Akte aufgeführt.«
Farrell rollte mit den Augen. »Ja. Was ist das für eine Frau, die keine hundertfünfzig Meter von der Ehefrau entfernt mit einem Mann schläft? Aber sie hat ihm ein Alibi gegeben.« Er schnaubte verächtlich. »Als ob sie es gewagt hätte, zu lügen. Und als ob sie seinen Faustabdruck in ihrem Gesicht hätte haben wollen.«
Steven hob die Brauen. »Er hat seine Geliebte auch geschlagen?«
Farrell zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«
»Das hat Miss Rupert nie zugegeben.«
Farrell schnaubte. »Davor wird sie sich gehütet haben.«
Steven lehnte sich weiter vor. »Was war mit Robbie? Ist er jemals mit Blutergüssen in der Schule aufgetaucht?«
»Ich habe keinen Lehrer ausfindig machen können, der so etwas in der Art gesehen hätte. Aber sie schilderten ihn als einen zurückgezogenen Jungen, der nie mit den anderen spielte. Hochintelligent soll er gewesen sein. Mary Grace hat dafür gesorgt, dass der Junge keinen einzigen Schultag versäumte. Er war immer sauber und adrett gekleidet. Hatte nie Flecken auf dem Hemd, wenn er in den Schulbus stieg, nie einen Flecken auf dem Hemd, wenn er wieder nach Hause kam.«
»Angst, sich schmutzig zu machen?«
»So habe ich es interpretiert. An der Schule gab es eine Referendarin, die meinte, Robbie benötigte einen Therapeuten. Sie hatte schlimme Blutergüsse auf seinem Rücken gesehen.« Farrell furchte die Stirn. »Das hat sie mir erzählt, als der Junge und seine Mutter gerade verschwunden waren, doch als ich sie ein paar Wochen später aufsuchte, lautete ihre Geschichte anders.«
»Sie glauben, dass Winters sie bedroht hat?«
»Das hat sie abgestritten.« Farrell hob wieder die Schultern. »Die Oberschwester im Krankenhaus konnte Winters nicht ausstehen. Nancy Desmond hatte Mary Grace während ihres gesamten dreimonatigen Aufenthalts im Asheville General betreut.
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