Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
der Mann vor ihm eine schwere Krankheit überwunden hatte, von dem stressigen Job in der Hauptstadt befreit und in die Provinz versetzt worden war. Er hatte es also mit einem kranken Mann zu tun. Genau darin lag seine größte Chance.
»Den Großteil meiner Strafe habe ich auf der Krankenstationverbracht. Ich wäre jetzt tot, wenn ich nicht eine neue Niere bekommen hätte«, sagte er.
»Wie rührend.«
Aber das Interesse war entfacht, auch wenn Mark Bille Hansen nur kopfschüttelnd vor ihm saß.
»Es ist gar nicht so einfach, das zu erklären«, fuhr Peter fort. »Ich war sicher, dass ich sterben werde. Und ich war auf die ganze Welt wütend. Ich wollte nur meine Ruhe und weder Einmischung noch Mitleid.«
Mark Bille Hansen kratzte sich auf dem Handrücken. Unruhig wanderte sein Blick durch das Wohnzimmer, als würde er darauf gefasst sein, in der Ecke ein Krankenhausbett zu entdecken.
»So war das, bis plötzlich eine Spenderniere auftauchte. Das hatte ich nicht erwartet«, sagte Peter. »Vielleicht hätte ich sie auch eigentlich nicht verdient. Schließlich war ich ein verurteilter Verbrecher, gehörte zum Abschaum der Gesellschaft. Das sagte zwar niemand, aber ich konnte es in ihren Augen lesen. Diese Niere hätten sie lieber jemand anderem gegeben.«
Peter sah Mark Bille Hansen an.
»Wer soll schon entscheiden, wer leben darf und wer ein Todesurteil bekommt. Beides ist gleichermaßen erschütternd, das kann ich unterschreiben.«
Der Blick des anderen durchbohrte ihn förmlich.
»Trotzdem. Sie kannten Ramses und haben es verschwiegen.«
Peter nickte.
»Ja, aus einer Zeit, an die ich mich nicht mehr erinnern wollte. Nach der Operation und meiner Entlassung aus dem Gefängnis wollte ich nur allein sein. Ich habe mich hier total zurückgezogen. Die Vergangenheit sollte Vergangenheit bleiben. Und als ich Ramses tot am Strand liegen sah, warmein erster Instinkt, ihn zu verleugnen. Er war all das, womit ich nichts mehr zu tun haben wollte.«
Peter beugte sich vor.
»Einige sagen dazu: das Leben steht auf der Kippe oder man steht am Abgrund. Ich glaube, man muss dort gewesen sein, um es zu verstehen.«
Mark Bille Hansen rieb sich erneut die Handrücken, als würde er die Narben abwischen wollen. Es dauerte eine Weile, ehe er sich räusperte und sagte:
»Nehmen wir mal an, dass ich es verstehe. Nehmen wir an, dass ich Ihr Untertauchen akzeptiere. Aber ich will wissen, was Sie davon halten?«
Er nahm einen Schluck Kaffee und stellte den Becher auf dem Tisch ab.
»Warum musste Ramses sterben? Und warum ausgerechnet hier? Wer könnte einen Grund haben, ihn zu töten?«
Peter überlegte, was er antworten sollte. Es war ausgeschlossen, Stinger in die Sache mit reinzuziehen, und er konnte auch nichts vom Einbruch erzählen, ohne Felix zu erwähnen. Das war ein Drahtseilakt, denn er war genötigt, Mark Bille Hansen einen Bissen hinzuwerfen.
»Ich weiß es nicht. Aber Ramses hatte nicht nur mit Engelchen zu tun. In diesen Kreisen löst man die Probleme kurz und schmerzlos.«
»Er ist jemandem also in die Quere gekommen?«
»Davon gehe ich aus. Wurde er schon obduziert?«
»Die Todesursache war eine tödliche Schusswunde.«
Peter nickte.
»Ich könnte mich ein bisschen umhören, wenn Sie wollen.«
»Ich dachte, Sie sind fertig mit Ihrer Vergangenheit?«, erwiderte Mark Bille Hansen spöttisch.
Peter hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen.
»Am besten überlassen Sie uns das.«
»Haben Sie schon die anderen aus dem Knast befragt?«
Mark Bille schüttelte den Kopf.
»Wir wollten zuerst mit Ihnen sprechen. Was war er für ein Typ?«
Peter musste nicht lange nachdenken.
»Er war eitel und auch nicht der Hellste, wenn Sie verstehen.«
»Nein, was genau heißt das?«
»Der Ramses, den ich kannte, interessierte sich nur für Frauen und Geld. Ich glaube, er hat noch nie in seinem Leben ein Buch in die Hand genommen.«
Mark Bille ließ seinen Blick wieder durch das Zimmer schweifen und blieb schließlich am Bücherregal hängen.
»Sie lesen?«
Er trat an das Regal und las die Buchtitel, pfiff leise durch die Zähne.
»Wo haben Sie denn dieses Hobby aufgegabelt?«
»Ich bin zur Schule gegangen, da lernt man lesen.«
Er erwähnte nicht, dass ihm die Bücher in der Schulbibliothek das Leben gerettet hatten. Es ging den Polizisten nichts an, dass seine Kindheit von sadistischen Tyrannen geprägt gewesen war und er sich für seine Brüder und Schwestern im Kinderheim Titan verantwortlich gefühlt
Weitere Kostenlose Bücher