Eiskalte Ekstase - ein Frankfurt-Thriller
Rente. War offenbar aber zu stolz, ihren Sohn um Hilfe zu bitten, nachdem der Energieversorger ihr wegen der Zahlungsrückstände die Heizung abgestellt hatte.«
»Was?«
»Kellermann hat zwar regelmäßig nach ihr gesehen, klar – aber nur, soweit das mit unserem derzeitigen Arbeitspensum vereinbar war. Sie wohnte ein paar Kilometer entfernt, in Königswinter, die A3 Richtung Köln hoch.«
»Ja, aber …« Kartans Mund steht offen, die Hände hat sie unbewusst an die erhitzten Wangen gelegt.
Devcon zuckt die Achseln. Knirscht mit den Zähnen. »Sie lebte in einem dieser schlecht isolierten Altbauten. Seit mindestens zwanzig Jahren nichts Richtiges mehr dran gemacht, sagt Kellermann. Und bei der momentanen Witterung reichen eben schon ein paar Tage, innerhalb derer die Raumtemperatur in den kritischen Bereich absinken kann.« Devcon starrt auf seine Fingerspitzen. »Kellermann hat sie in ihrem Wohnzimmer gefunden. Im Sessel sitzend. Und die Wolldecken lagen vor ihr auf dem Boden.« Seine Stimme wird leiser. »Sind wahrscheinlich runtergerutscht. Wohl während einer Phase besonders unruhigen Schlafes.«
Tatjana Kartans Augen funkeln zornig und füllen sich mit Tränen. Devcon stößt hörbar die Luft aus, reibt sich über die Lider.
»Formal gesehen hatte natürlich alles seine Richtigkeit …«
»Formal gesehen hatte alles seine Richtigkeit?« Kartans ohnehin sehr helle Stimme überschlägt sich fast. »Hab ich was am Ohr? Oder was für Drogen hast du eingeworfen?«
Devcon versucht ein Lächeln. Ein müdes Lächeln. »Langsam, Herzchen, langsam. Fast die Hälfte aller an Unterkühlung gestorbenen Personen werden in der eigenen Wohnung gefunden.« Er sieht sie fest an. »Und das ist nicht wirklich überraschend. Der bürokratische Imperativ gilt eben auch bei den Energieversorgern. Menschen spielen da keine Rolle, es werden lediglich Listen mit Zahlen abgeglichen. Und nur danach wird gehandelt. Präzise wie ein Schweizer Uhrwerk.«
Kartan lässt sich gegen die Stuhllehne sinken. Ihre Arme hängen schlaff herab, als würden sie nicht mehr zu ihr gehören. »Können wir bitte das Thema wechseln? Und zwar ganz schnell. Sonst werde ich noch verrückt.«
»Von mir aus.« Devcon zieht ein Papier unter der aufgeschlagenen Akte hervor. »Also dann, es gibt interessante Neuigkeiten in Sachen Identität des Gesichtslosen.«
»Ach ja?«
»Ja. Unser Mann ist eine Frau.«
»Bitte was?«
»Nun, laut dem Laborbericht stammen die bei dem Leichnam sichergestellten Haar- und Körperzellen eindeutig von einer Frau.«
»Aha.« Kartan sitzt wieder kerzengerade auf ihrem Stuhl. »Und das Teil zwischen den Beinen der gesichtslosen Person, das hat dann wohl der Täter angeklebt.«
»So ähnlich.«
Kartan sieht Devcon sprachlos an. Mit einem Blick, als würde sie ganz offenkundig an seinem Verstand zweifeln.
»Die Erklärung aus dem Labor ist nicht viel besser – das meine ich mit so ähnlich. Die Zellspuren stammen zwar tatsächlich von einer Frau, allerdings ist die noch quicklebendig und arbeitet in der Verpackungsfirma, die die Wattestäbchen für die Abstriche zur DNA-Analyse ans Labor geliefert hat.«
»Nee – oder? Das ist doch jetzt ein schlechter Witz.«
»Nein. Ist es nicht. Aber was soll’s.« Devcon macht eine wegwerfende Handbewegung. »So viel zum Thema Technik.«
»Aber der Wattestäbchenlieferant, der ist jetzt dran, richtig? Ich meine, wegen Schadenersatz …«
»Auch Fehlanzeige. Die behaupten, dem Kriminaltechnischen Institut sei bekannt gewesen, dass sie lediglich sterile Ware geliefert hatten. Und dass es einen Unterschied zwischen steril und DNA-frei gibt, ist den Verantwortlichen wohl erst jetzt aufgegangen.«
»Na, bravo.«
»Ja. Bravo! Das meine ich auch!« Polizeipräsident Fringe steht auf der Schwelle und tritt ein. Mit hochrotem Kopf. »Ich störe euer Techtelmechtel wirklich nur ungern.« Kartan und Devcon tauschen einen erstaunten Blick. »Aber es wird schon wieder ein junger Mann vermisst!«
Devcon zieht die linke Braue hoch. »Nur zur Information, Norbert. Du befindest dich hier im K11, Fachkommissariat für Tötungsdelikte, Dienststellenleitung. Die Vermisstenfälle werden zwar auch von uns bearbeitet, unterliegen hinsichtlich der Koordination aber der Kollegin Gaby Dorn …«
»Jetzt werd nicht schon wieder gleich frech, Kerl!«
»Und du sieh bitte nicht überall sofort ein neues Loverboy-Opfer. Statistisch gesehen tauchen die meisten Vermissten doch schon nach wenigen
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