Eiskalte Ekstase - ein Frankfurt-Thriller
dachte sie, ihr wäre heiß, obwohl sie fast am Erfrieren war. Kälteidiotie eben.« Kartan starrt Devcon trotzig entgegen. »Heißt so, weil sich die Leute ab einem gewissen inneren Temperaturabfall oftmals sämtliche Kleider vom Leib reißen und …«
»Schön. Und wo sind sie, diese Kleider? Hat sie die vor ihrem Tod noch schnell im Fluss versenkt? Und vor allem, was zur Hölle soll der Knebel!«
Kartan zieht eine Schnute. »Gut, ich geb’s zu, war ’ne blöde Idee. Aber immer noch besser als gar keine …«
Devcon erhebt sich, zieht sein Handy aus der Innentasche seiner Lederjacke. »Morgen, Frau Theis, Jim Devcon hier. – Ja, danke, mir geht’s großartig. Und selbst? – Sehr schön. Kurze Frage: Ist Dillinger schon im Haus? Ja? Prima, dann verbinden Sie mich doch mal. – Hans? Hör zu, ich steh hier am Schaumainkai, Ecke Uniklinikum, also quasi gleich bei dir um die Ecke. Könntest du mir bitte einen großen Gefallen tun und mal schnell vorbeischauen? Ich habe hier eine Erfrorene, mit der ich absolut nichts anfangen kann.«
»So viel zum Thema Pietät.« Kartan schüttelt traurig den Kopf.
»Mann, ist der heiß …« Tatjana Kartan schlürft geräuschvoll den Tee, den Lammert ihr gereicht hat, während der Polizeifotograf Aufnahmen von der Leiche macht.
»Morgen zusammen.« Dillinger trifft ein, mit Schal und in einen dunklen Mantel gehüllt. »Wieder schön frisch heut früh, was? Tut mir ja leid für die Umwelt, aber da habe ich es dann doch vorgezogen, mit dem Auto zu kommen.« Er nimmt die mit Wollhandschuhen geschützten Hände aus der Manteltasche und begrüßt Devcon. »Also Jim, dann lass mal sehen – aber was haben Sie denn, junge Dame, geht es Ihnen nicht gut?« Sein besorgter Blick ruht auf Tatjana Kartan, die auf einmal kalkweiß im Gesicht ist. Und stocksteif dasteht.
»Nein, nein … alles bestens. Das war wohl der Tee. Bin ich als Kaffeejunkie überhaupt nicht mehr gewöhnt.« Sie atmetvorsichtig ein, als müsse sie sich ganz auf ihren Körper konzentrieren.
Devcon fixiert sie, streckt ihr die Hand hin, zieht sie aber rasch wieder zurück. »Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?«
»Ja, verdammt! Oh …« Kartan lässt den Teebecher fallen, presst schnell beide Hände vor den Mund, die Augen aufgerissen. Sie lässt die Luft noch langsamer aus ihren Lungen entweichen, nimmt ihre Hände wieder runter. »Tut mir leid, Leute. Es ist nur der Kreislauf. War wohl einfach ein bisschen viel in den letzten Tagen. Wenn’s recht ist, bleib ich noch ’n Moment hier, okay? Ich weiß ja schon, wie die Leiche aussieht.«
Devcon deutet ein Nicken an. Beobachtet, wie sie den Teebecher aufhebt – sie geht dafür in die Hocke und hält den Oberkörper möglichst gerade. Und lächelt Devcon dabei schief an. Er beginnt, sich in Richtung Ufer zu entfernen, den Blick nach wie vor fest auf sie gerichtet.
»Jim, wenn du hören willst, was ich denke …«
Er hebt die Hand und wendet sich Dillinger zu. »Später. Die Gnadenlosen sind jeden Moment hier.« Kripointerner Ausdruck für die Leute des privaten Bestattungsunternehmens, das, vertraglich gebunden, für den Abtransport der Leichen zuständig ist. »Wirf jetzt erst mal einen Blick auf den Leichnam und sag mir, was ich damit machen soll.«
»Ganz wie du meinst, mein Freund.«
Dillinger zieht die buschigen Brauen hoch, als er den Körper der entblößten Frau auf der gefrorenen Uferwiese sieht. Er geht zu ihr hin, beugt sich hinab und inspiziert den Leichnam. Minutenlang. Ohne ein Wort zu sagen.
»Und? Wie sieht’s aus? Kannst du irgendein Anzeichen für ein Gewaltverbrechen erkennen – ich meine, außer dem Knebel?«
Dillinger richtet sich langsam wieder auf. »Nein. Nichts. Jedenfalls nicht in dieser Position. Sind die Fotos schon gemacht? Dann würde ich mir gern auch den Rücken ansehen.«
»Bitte. Aber auch da wird’s keine Schuss- oder Stichverletzung geben. Kein Hämatom, einfach nichts. Wetten?«
Dillinger beugt sich abermals hinab, dreht den Leichnam mit Devcons Hilfe auf den Bauch. »Stimmt. Nichts … absolut nichts zu sehen …«
»Was ist mit sexuellem Missbrauch? Irgendwelche Anzeichen dafür?«
Der Rechtsmediziner richtet seinen prüfenden Blick noch einmal auf die Innenseiten der Oberschenkel. »Keine äußerlich sichtbaren jedenfalls.« Er betrachtet den Knebel, der tief in die Mundwinkel der toten Frau einschneidet, kommt wieder hoch und streicht seinen Mantel glatt. »Es sieht tatsächlich danach
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