EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
quollen über vor Kleidungsstücken, die er nie tragen würde: modische Anzüge und Seidenkrawatten. Nach jeder gemeinsamen Nacht wurde ein Möbelstück verrückt, ein zufällig entdecktes und erworbenes Bild aufgehängt und eines seiner Poster in den Keller verbannt. Für ihn war es der perfekte Beweis, dass ihre Beziehung auf der Kippe stand. Dabei war sie noch gar nicht bei ihm eingezogen.
Sie hatten sich auf der Silvesterparty seines Vorgesetzten kennengelernt. Wann immer er sich an dem Abend umgedreht hatte, beobachtete ihn diese Frau, auf deren Gesicht ein verlockendes Lächeln lag. Ihr Anblick hatte bei ihm – wie er sich auszudrücken pflegte – eine hormonell bedingte Besessenheit ausgelöst. Und die dauerte nun schon vier Monate an.
Andrea war inzwischen vom Rauschgiftdezernat zur Mordkommission versetzt worden, und kürzlich hatte sie ihm unterbreitet, dass sie ihren Job aufzugeben gedachte, bei ihren Eltern ausziehen und ein perfektes Heim für sie beide schaffen wollte. Doch er sagte sich immer wieder, dass er mit fünfundzwanzig Jahren noch nicht heiraten sollte, zumal auch seine hormonelle Obsession nachzulassen begann. Außerdem wollte er endlich wieder im roten Backsteinhaus in der Nähe der Isarauen allein sein. Es war sein Geburtshaus, er hing an dem alten Gemäuer. Verkaufen und ein neues Haus bauen, wie Andrea vorschlug, kam für ihn nicht in Frage. Er musste ihr sagen, dass es vorbei war. Morgen Abend vielleicht, bei einem Abendessen.
Mittlerweile war er am Tatort angekommen. Er parkte seinen Wagen nahe der Absperrung, stieg aus und steuerte auf das Haus zu.
Ein Polizeibeamter behielt die unliebsamen Schaulustigen im Auge, die sich hinter dem Absperrband drängten. Als er Hirschau kommen sah, deutete er auf die Menge und tippte sich dann mit dem Zeigefinger an die Stirn.
Als Hirschau die Neugierigen hinter der Absperrung sah, schüttelte auch er verständnislos den Kopf.
Der junge Polizist reichte ihm einen Schutzanzug, den er rasch überzog.
„Ob der Mörder wohl unter diesen Leuten ist und uns bei der Arbeit zuschaut?“, fragte er den jungen Kollegen. „Sie können ja mal fragen. Das würde die Sache erheblich vereinfachen. Was meinen Sie?“
Doch der Polizist war offensichtlich nicht der schlagfertige Typ, sondern lächelte nur verlegen.
Schon auf der Vordertreppe wehte Hirschau durch die offene Haustür der Geruch des Todes entgegen. Er zögerte, den ersten Schritt in dieses Haus zu setzen, denn er wusste, was ihn dort erwartete. Andrea kam auf ihn zu.
„Hallo, Robert.“
Sie sah ihn erwartungsvoll an, als würde sie auf eine Einladung zum Abendessen warten. Sieh mich nicht so an, dachte er, ich ertrage es nicht mehr.
„Ist der Doc oben?“, fragte er, während er die Latexhandschuhe und die Einwegschuhe überzog.
„Nein, er war da, ist aber schon wieder gegangen. Du sollst später zu ihm in die Gerichtsmedizin kommen. Ansonsten hat noch niemand den Tatort betreten. Wir wollten warten, bis du hier bist.“
Sie deutete auf die Treppe. Robert Hirschau holte noch einmal tief Luft, schloss die Haustür hinter sich und hielt sich ein Taschentuch vor die Nase.
Im Haus herrschte Chaos. Einige Polizeibeamte standen untätig herum und beobachteten, wie die Kollegen von der Spurensicherung im Erdgeschoss Fingerabdrücke nahmen. Die Überschuhe aus Papier schleiften raschelnd über die Stufen, als die beiden die Treppe hinaufstiegen. Hirschau fiel auf, dass lediglich die Schlafzimmertür geschlossen war und alle anderen Türen offen standen. Er drückte die Klinke herunter.
„O mein Gott! Wie kann man einem Menschen nur so etwas antun?“
Das Entsetzen in Andreas Stimme ignorierte Hirschau. Er trat vor das Bett, in dem die Tote lag. Andrea blieb hinter ihm stehen, trotzdem bemerkte er ihr Zittern.
„Ich brauche dich hier nicht unbedingt. Warum gehst du nicht an die frische Luft und siehst dich draußen ein wenig um? Ich mache das schon“, sagte er freundlich, obwohl sein Magen beim Anblick der übel entstellten Leiche zu rebellieren begann.
„Nein, ich muss da durch. Schließlich gehöre ich jetzt dazu. Außerdem war ich draußen schon fleißig.“ Sie schluckte und zog einen Notizblock hervor.
„Wie du willst“, erwiderte er genervt und sah sie mit gequälter Aufmerksamkeit an. „Was wissen wir über das Opfer?“
Andrea warf einen Blick auf ihre Notizen. „Bei der Toten handelt es sich um die sechsundzwanzigjährige Julia Jahnke. Die Eltern sind bereits
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